"Live free or die", das war nicht der Wahlspruch unserer Indian Summer Tour oder einer Outlaw-Motorradgang, sondern dies ist das offizielle Motto des Bundesstaates New Hampshire, das das Lebensgefühl der Amerikaner an der Ostküste ganz gut trifft. Häuser und Grundstücke sind in dem Zustand, der dem jeweiligen Besitzer selbst gefällt - entweder super gepflegt oder von den zugewachsenen Fahrzeugen der letzten 20 Jahre incl. skidoos, Schneeräumfahrzeugen und Möbeln, die im Haus keinen Platz haben, umgeben. Keine Bauordnung in unserem Sinne, keine Vorschriften über Farbe, Form und Dachgiebelausrichtung, zumindest keine, die wir erkannt haben. Der typische Motorradfahrer (Harley, Victory, Goldwing) fährt in der Lederjacke mit Sonnenbrille und Cowboystiefeln, weitere Schutzkleidung wie Helm, Handschuhe, Motorradhose werden bei sommerlichen Temperaturen in der Regel nicht verwendet. Das passt ja schon mal zum Motto.
Wir, 5 ehemalige Arbeitskollegen und ich, haben Neu-England zu Beginn der Indian Summer Zeit mit gemieteten Harleys besucht, leider nur ein kurzer Trip vom 25.9. bis 4.10.2013. Die Tour haben wir selbst organisiert, Hotels von Deutschland aus bei hotel.com gebucht und die Harleys bei Eagle-Rider gemietet. Mit Air Lingus flogen wir von Düsseldorf über Dublin nach Boston, die ersten 2 Nächte haben wir im Redroof Inn in Saugus übernachtet, um uns Boston ansehen zu können.
Einen ersten Überblick über Boston bekommt man relativ schnell, wenn man dem Freedom Trail, einem gut gekennzeichneten ca. 4 km langen Fussweg folgt. Insgesamt 16 Sehenswürdigkeiten, mehrere Erklärungstafeln und vor allem ein vielfältiges unterschiedliches Stadtbild säumen diesen Trail. Vom Boston Common, dem ältesten Park der USA, geht es über Kirchen, alte Friedhöfe und dem alten Rathaus zur Faneuil Hall, einem grossen Touristenzentrum, und zur Fussgängerzone, dem Quincy Market. Nachdem wir so den Kulturteil der Tour sehr kompakt und abwechslungsreich hinter uns gebracht hatten, und wir uns am Abend schon mal an das Budweiser gewöhnt haben, hat uns am nächsten Morgen Nick von Eagle Rider abgeholt und nach ein paar Formalitäten mit unseren Harleys vertraut gemacht. 4 Road Kings und 2 Electra Glides, gut in Schuss, zwischen 10000 und 30000 Meilen gelaufen, wurden von uns in Empfang genommen. Mein persönlicher Favorit ist für eine solche Tour die Electra Glide, denn amerikanische Countrymusik passt super zu einer solchen Tour (eigene CD oder Radio) ausserdem eignet sich das Top Case hervorragend für etwas mehr Gepäck (oder zum Bier holen oder zur Helmaufbewahrung während der Fahrt oder fürs Gepäck der Sozia oder für was auch immer). Gefühlte Größe etwa wie der Kofferraum eines Käfers.
Meine E-Glide: grosser gut zugänglicher Kofferraum, tolle Musikanlage
Am ersten Fahrtag fuhren wir über den Essex Coastal Scenic Highway am Ozean entlang über Gloucester und Rockport und durch weitere "typisch englische Ortschaften" (Essex, Ipswich, Rowley) bis nach Portland in Maine. Besonders interessant war unterwegs noch das kleine Künstlerdorf Ogunquit, der Name bedeutet in der Sprache der Ureinwohner (Abenaki-Indianer) “beautiful place by the sea”.
Pause am Atlantik bei Rockport
Main street von Ogunquit
Nach der Übernachtung im Travel-Lodge in Portland wollte Thomas unbedingt zu einem "riesigen" lands end gift-shop, den er auf google earth ausgemacht hatte, fahren. Er zeigte mir auf der Karte die Landzunge small point beach (der Name hätte mich stutzig machen sollen), wir sind dann über Bath auf kleinen schönen Nebenstrassen dort hin gefahren. Es ging immer tiefer in den Wald hinein, aus der Nebenstrasse wurde ein Feldweg, aus dem Feldweg ein Schotterweg bis wir schliesslich einen einsamen Strand erreichten, auf dem ein Amerikaner alleine auf einem Klappstuhl saß und das Meer beobachtete.
Auf der Suche nach dem gift-shop
Nachdem wir so die Harleys schon mal auf leichte Enduropisten vorbereitet hatten (der lands-end gift-shop war natürlich auf einer anderen Halbinsel) fuhren wir weiter an der Küste entlang zur nächsten Halbinsel nach New Harbor, wo dann tatsächlich ein kleiner Geschenkeladen und einer der ältesten Leuchttürme von Maine auf uns wartete.
Lecker Eis
Pemaquid point light, einer der ältesten Leuchttürme von Maine (erbaut 1827)
Von dort ging es weiter nach Belfast zum wohl schönsten Hotel unserer Reise dem Colonial Gables Oceanfront Village, das von zwei freundlichen
Ladies geführt wird, die die 70 sicher bereits überschritten haben. Die im amerikanischen Kolonialstil eingerichteten Zimmer bieten einen grandiose Blick auf den Ozean.
Blick an der Harley vorbei durchs Zimmer auf den Ozean
Abends im nahe gelegenen Lokal von Papa J konnten wir zwischen ein- bis zweieinhalb-pfündigen Lobstern wählen und, da wir uns als Neulinge outeten, bekamen wir fachkundige Unterstützung bei der Zerlegung. Nachdem der Kopf und die Scheren abgedreht sind und die hintere Verschalung entfernt ist, kommt man am besten an das delikate Fleisch, wenn man von hinten einen Finger in den Körper steckt und damit das Fleisch herausdrückt. Vielleicht gibt es ja elegantere Methoden - aber so funktioniert es sehr gut. Der Rest wird dann mit dem Nussknacker und den spitzen Gabeln aus den Scheren herausgeholt. Da wir uns für die kleinen Einpfünder entschieden hatten, brachte uns der Wirt zur Veranschaulichung noch ein lebendes 2 1/2 - pfündiges Exemplar an den Tisch. Wir nannten ihn Bob, aber ob er sich wirklich über unsere Gesellschaft gefreut hat...
Die nächsten Tage durchquerten wir ausgehend von Bar Harbour den Acadia National Park mit vielen kleinen Strassen mit Wäldern, Sümpfen und natürlich dem 470 m hohen Cadillac Mountain, dem Berg, der morgens von den Strahlen der aufgehenden Sonne innerhalb der USA als erstes getroffen wird.
Blick vom Cadillac Mountain
Sümpfe im Acadia Nat'l. Park
Einer von hunderten Seen im Acadia Nat'l. Park
Pause im Acadia Nat'l. Park
Sowohl der Cadillac Mountain als auch der Acadia Park erinnern in ihren Namen an die französische Kolonialzeit im 17. Jahrhundert in dem Maine noch Akadien hiess. Und der Cadillac Mountain ist nicht nach dem gleichnamigen amerikanischen Automobil sondern nach dem französischen Abenteurer Antoine de la Mothe Cadillac benannt, der vom Gouverneur von Neufrankreich 1688 ein Stück Land in Akadien erhielt - einschliesslich Mount Desert Island auf dem der Cadillac Mountain liegt.
Auf dem Weg von Bar Harbour nach Millinocket so zwischen Schoodic Lake und Seboeis Lake hinter Medfort wie immer auf der Suche nach noch kleineren Strassen fanden wir auf google earth die nicht auf unserer Karte eingezeichnete ungefähr 12 Meilen lange Trestle Road, die sich beim Befahren als schönste gravel stone Piste entpuppte. Na ja, das geht mit der Harley nicht ganz so ideal aber im Prinzip wie mit allen anderen Motorrädern auch: auf die Rasten (bzw. Trittbretter) stellen und im 2. oder 3. nicht zu schnell aber auch nicht zu langsam geradeaus, saubere Blickführung und sich von den Lehmkuhlen nicht aus dem Gleichgewicht bringen lassen. Die Strasse ist eine verlassene Eisenbahnpiste, schön gerade mit einigen Steigungen und Gefällen aber eben verlassen und vor allem nicht geteert.
Weg nach Millinocket
Abandonned Railroad Grde
Nachdem dieser sehr abwechslungsreichen schweisstreibenden Etappe führte uns der nächste Tag von Millinocket über Greenville am Moosehead Lake nach Gorham zurück nach New Hampshire. Die Namen der Städte, die wir durchquerten, zeigen, dass die Namensgeber sich wohl nicht zuviele eigene Gedanken machen wollten: wir fuhren durch China, Belgrade, Athens, Hanover, Norway, Peru, Moscow.
Highway nach Greenville
Auf den beiden letzten Etappen ging es eher ruhig zu, genussvolles Cruisen und Landschaft geniessen war angesagt. Der Weg nach Greenville zeigt erste Ansätze des Indian Summer, für die volle Verfärbung der Laubwälder war es noch etwas früh. Dafür waren die Temperaturen während der gesamten Woche tagsüber immer über 20 Grad, blauer Himmel, Sonne, so wie von uns gebucht.
Bei der letzten Tankpause kamen wir noch mit Jim, einem amerikanischen Harley Fahrer, ins Gespräch. Er erzählte uns in wenigen Worten seine Lebensgeschichte: die Liebe zur Harley, die 2 Scheidungen, bevor er dann natürlich ohne Helm dafür mit sportlich-eleganter Fliegerbrille seine Tour fortsetzte.
Jim und seine grosse Liebe
Das war's dann auch für uns, ein toller Kurztripp mit vielen neuen Eindrücken, Musik übrigens die ganze Zeit von Keith Urban (Fuse), dessen Melodien mir nicht mehr aus dem Ohr gehen.
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