Wem das Lesen zu anstrengend oder wenn zusätzlich Bildimpressionen gewünscht sind, könnt ihr unter folgendem Link eine etwa halbstündige Diashow incl. einem Interview mit irischen Schafen ansehen:
DER ANFANG
Es begann, nein ich fange nicht von Anfang an, als ich Himmel, Erde und das Meer erschuf, es begann etwa im Jahre 1974. Da begegneten sich zwei dreizehnjährige Jungs in einem Andernacher Gymnasium. Stefan und Richard hießen die beiden und so heißen sie heute noch.
Die Qualität und Tiefe der Freundschaft, die zwischen den beiden entstand, konnte damals noch niemand absehen.
Ich überspringe jetzt ein paar Jahrzehnte und erwähne kurz das Jahr 2017. Im Juni diesen Jahres fuhren die beiden mit ihren Motorrädern nach Irland um dort die Südhälfte der Insel an der Küste entlang zu erkunden.
Der in Geografie bewanderte Leser erkennt natürlich sofort, dass eine direkte Anfahrt zur Insel mit Motorrädern so nicht möglich ist. Diesem Leser zuliebe ergänze ich gerne, dass wir das Gewässer, das das europäische Festland von der grünen Insel trennt, mittels Autofähre von Cherbourg nach Rosslare überquerten. Dem Korinthen kackenden Leser sei versichert, dass Autofähren auch Motorräder transportieren.
Dort, in Rosslare angekommen, fuhren wir in knapp zwei Wochen mit unseren Motorrädern entlang der Süd- und Südwestküste des Eilands bis zur Stadt Galway, die etwa in der Mitte zwischen Norden und Süden an der Westküste liegt. Von dort nahmen wir den Rückweg zum Fährhafen quer durch das Inselinnere, nicht ohne den ein oder anderen Umweg und den ein oder anderen amüsanten Abend in einem Irischen Pub.
Das Wort Pub hat nichts mit dem deutschen Ausdruck für eine Flatulenz zu tun, sondern es bedeutet einfach nur Kneipe. Eine Irische Kneipe wird Pub genannt, wobei das u wie ein a gesprochen wird. Diese kleine Worterklärung ist nicht ganz unwichtig, da sich in diversen Pubs (die Mehrzahl von Pub wird mit einem S am Ende geschrieben) der ein oder andere Höhepunkt unsere Reise abspielte.
Fahren wir nun im Jahre 2022 fort. Im Juni diesen Jahres machten sich die beiden wieder auf den Weg zur grünen Insel. Die fünfjährige Pause zwischen diesen beiden Reisen ist zum einen Pandemie bedingt, zum anderen, nun, das gehört nicht hierher.
Am 3. Juni kurz nach Mittag kam Stefan von der Arbeit zu mir nach Hause. Ich musste noch etwas arbeiten bis gegen 14:00h und dann fuhren wir los zum ersten Zwischenziel in Cambrai. Die Distanz zur Fähre nach Cherbourg beträgt mehr als 800 KM und wir haben uns zwei Zwischenübernachtungen gegönnt, um unsere Hinterteile nicht bereits auf dem Hinweg wund zu reiten.
Der Verkehr an diesem Freitag vor Pfingsten war sehr dicht und wir benötigten für die 350 KM rund sechs Stunden. Hinter Mons verließen wir die Autobahn, die, wie unser Navigationssystem verriet, nahezu gesperrt war. Durch die wunderschöne Wallonie erreichten wir Cambrai über Landstraßen gegen 20 Uhr.
Übrigens, dank unserer hochwertigen Regenkombis blieben unsere Alabasterkörper trocken.
Nach einem Abendessen rief uns das Bett in der Unterkunft. Mich rief....also während der Nacht, rief mich ein unregelmäßiges lautes Atmen meines Freundes Stefan gelegentlich aus meinen Träumen. Ich hatte verabsäumt eine meiner mitgeführten Gehörschutze einzuführen, was sich bitterlich rächte. Ich habe ihm verziehen.
Nach gefühlten 1 einhalb Stunden Schlaf und einem kurzen Frühstück machten wir uns auf den Weg Richtung Normandie, Richtung normannischer Küste. Tréport und Etretat sind wunderschön gelegene Küstenstädtchen. Malerische Kreidefelsen, geformt von den Gewalten des Atlantik wechseln ab mit feinen Sandstränden, mit in der Gezeitenströmung wild rollenden Kiesbänken und bunten Küstenorten. Wären nicht so viele Touristen dort, könnte es noch schöner sein, aber da müssen wir uns an die eigene Nase packen. Wir sind selber welche.
Die Anfahrt nach Honfleur, unserem zweiten Zwischenstopp, verlief trocken. Das Gewitter brach erst los, als wir unser Nachtmahl, bestehend aus Muscheln und Fisch unter einem großen Regenschirm am Hafen einnahmen. Eigentlich war es kein Regen-, sondern ein Sonnenschirm. Diese Schirme haben die dankenswerte Eigenschaft, sowohl vor Regen als auch vor Sonne zu schützen. Zumindest solange man sich darunter aufhält und der Regen nicht waagerecht fällt.
Der Cidre, ein Apfelwein, ist in der Normandie echt lecker. Nach zwei Flaschen davon und einem interessanten Gespräch mit Elke und Jan, die mit ihrem MX 5 unterwegs waren, wackelten wir zurück zu unserer Unterkunft bei Jocelyn. Dort hatten wir den Luxus getrennter Schlafzimmer, sodass ein wenig meines Schlafmangels aufgeholt wurde.
Das Gespräch mit Elke und Jan kam dadurch zustande, dass wir unsere T-Shirts trugen. Auf der Vorderseite ist die irische Flagge und auf der Rückseite unsere Tourdaten abgedruckt. Sehr kommunikativ war dieses Kleidungsstück. Bereits in Cambrai sprach uns eine Frau darauf an.
Am nächsten Morgen, nach einem frugalen Frühstück, machten wir uns auf den Weg nach Cherbourg.
An Omaha- und Utahbeach wurde der D-Day gefeiert. Am 6. Juni 1944 landeten die Alliierten in der Normandie und leiteten die Befreiung Frankreichs von den deutschen Truppen ein. In jedem Dorf trafen wir auf alte Willies (Jeeps aus dem letzten Jahrhundert), Männer in Uniformen und ein Pulk aus mindestens 200 Harleyfahrern blockierte unseren Weg für eine halbe Stunde.
Um 13:00h kamen wir in Cherbourg am Hafen an.Spätester Check-in laut Fährgesellschaft war um 14:15h. Stefan, ein regelmäßiges Mittagessen gewohnt, suchte das Restaurant, wo wir fünf Jahre zuvor gespeist hatten. Die Suche dauerte. Wir haben es nicht gefunden, das Restaurant.
Nach zwanzig Minuten fanden wir ein anderes Restaurant, wo Stefan ein Rochensteak zu sich nahm. Aufgrund der etwas knapp bemessenen Zeit bis zum Boarding bekam ich nur einen Kaffee herunter. Zeitdruck verursacht bei mir einen Magenverschluss. Ich war ja schon froh, dass unsere Moppeds in Sichtweite geparkt waren, sodass ich verfolgen konnte, sollte sich ein Dieb oder ein Abschleppunternehmen an den illegal geparkten Fahrzeugen vergreifen.
Nach dem Mahl fuhren wir ohne weiteren Aufenthalt durch den Check-in direkt in den Schiffsbauch. Meine Aufregung war völlig übertrieben, wir hatten ja noch fünf Minuten Zeit. Vielleicht auch nur vier oder drei?...
DIE ÜBERFAHRT
Nach dem Verzurren der Moppeds, dem Aufsuchen unserer Kabine Nummer 619 und dem Umkleiden war Zeit für eine erste Pint Guinness. Solch ein Pint (gesprochen Peint) hat 0,56 Liter und Guinness ist ein sehr dunkles Bier mit einem sehr intensivem Geschmack. Nach einem davon hat man keinen Hunger mehr und nach zweien ist man satt. Nicht betrunken. Vielleicht merkt man es auch nicht. Das Betrunkensein.
Ich bekam trotzdem Hunger und bestellte mir im Schiffsrestaurant eine Kinderportion Fish and Chips. Die Qualität des Essens an Bord müssen wir an dieser Stelle nicht weiter ausführen. Selten hab ich trockeneren Fisch mit umso labberigen Pommes zu mir genommen.
Stefan vermisste nichts. Er hatte ja mittags der Völlerei gefrönt, während vor meinem inneren Auge die Fähre ohne uns ablegte. Im Nachhinein gab er zu, dass er sein Mahl nicht uneingeschränkt genossen hat, es sozusagen runter würgte, da mein Stress doch ein wenig auf ihn abfärbte. Egal! Meine Welt war in Ordnung. Wir waren heil an Bord gelangt und sahen der Überfahrt nach Rosslare in Irland entgegen. Nun erwartete uns eine langweilige 18 stündige Überfahrt.
Neben unserem Tisch im Bordrestaurant hatten 3 Pärchen aus Dortmund Platz genommen. Zwei Tische weiter vier Bajuwaren aus Passau und dazwischen fünf Iren. Doch der Reihe nach.
Zuerst kamen wir mit den Dortmundern ins Gespräch. Nicht zuletzt dank der oben erwähnten T-Shirts. Drei Männer mit ihren Moppeds und ihren Frauen als Sozia.
Die vier Bayern hatten sich auf dem Außendeck eingerichtet. Vier Feldbetten und ein Klapptisch waren ihr zu Hause während der Überfahrt. Wie sie in ihrem uns kaum verständlichen urbayrischen Heimatslang versicherten, wollten sie eine Woche in den irischen Wäldern mit nichts als ihren Feldbetten und einer vier mal sechs Meter großen Plane als Wetterschutz nächtigen.
Die Dortmunder waren eher commod wie wir unterwegs und planten Unterkünfte in B&Bs. Die Iren waren auf dem Heimweg, nachdem sie einen Teil des europäischen Festlands mit ihren Moppeds erkundet hatten.
So begann unser langweiliger Abend an Bord.
Ein oder zwei Guinness später, ich war mittlerweile auf Heineken umgestiegen, weil ich mehr als satt war, wurde das Gespräch lebhafter. Jim oder Jimmy, einer der Iren stimmte ein Lied an, in das wir sofort einfielen. Paddy entpuppte sich als wahrer Sangeskünstler und die Namen der anderen habe ich vergessen. Verzeiht, wenn ich die Reihenfolge und die Titel der Lieder nicht mehr wahrheitsgetreu rezitieren kann, es muss am Heineken liegen. Viele Pints später, die Dortmunder hatten sich längst verabschiedet, wohl weil die Männer unter dem Einfluss ihrer Eheweiber standen, sangen wir immer noch gemeinsam mit den Iren, bis auch diese sich verabschiedeten um ihre Kojen aufzusuchen. Stefan schaltete den Vernunftmodus ein und ging schlafen. Zwei der Bayern waren mittlerweile unauffällig ebenfalls verschwunden, als just in dem Augenblick, als ich selbst in Betracht zog, Kabine 619 aufzusuchen, sich die übrig gebliebenen Bayern an meinen Tisch setzten. Sie guckten Schlangenlinien. Möglicherweise ich auch, aber dafür gibt es keine Beweise.
Wir sprachen über Gott und die Welt und wie wir es hinbekommen, alle Kriege und Krankheiten zu beenden. Dummerweise erinnerte sich am nächsten Morgen niemand mehr daran...
Der nächste Tag:
In der Nacht habe ich Stefan nicht schnarchen hören. Liegt es vielleicht an dem ein oder anderen konsumierten berauschenden Getränk? Jedenfalls behauptete Stefan ich hätte geschnarcht. Kann ja gar nicht sein! Das ist sein Part!
ANKUNFT AUF DER GRÜNEN INSEL, KILKENNY
Nach einem Cappucino und zwei Croissants an Bord verließen wir das Schiff in Rosslare.
Olli, einer der Dortmunder hatte einen Platten und einer der Iren hat ihm versprochen, das Loch im Reifen an der Tankstelle hinter dem Hafen zu flicken. An dieser Tanke verabschiedeten wir uns nochmal von unseren Schiffsbekanntschaften und fuhren Richtung Südküste. Einige déja vus hatte ich unterwegs. Reetgedeckte Häuser, schmale Straßen unter Bäumen, deren Äste sich über uns zu einem dunkelgrünen Himmel formten und eine Luft, wie es sie nur in Irland zu atmen gibt. Ich fühlte mich wie zu Hause. Als wäre dieses Land mein Land.
In irgendeinem Dorf mit einem Fischerhafen nahmen wir unser erstes irisches Frühstück ein. Stare versuchten unser Frühstück vom Teller zu stibitzen. Wir sind satt geworden und die Stare auch.
Weiter Richtung Waterford stand eine Fährfahrt über einen Fjord an. Auf der Hinfahrt begegneten wir nochmal den Dortmundern. Ollis Reifen war fast dicht.
Am Nachmittag erreichten wir Kilkenny. Hier verbrachten wir fünf Jahre zuvor einen denkwürdigen, wirklich bemerkenswerten Abend in einem Pub namens John Cleerys Bar and Theatre. Irgendwie hofften wir, dieses Erlebnis zu wiederholen. Die Bar gab es noch, wie wir auf dem Weg von unserer Unterkunft in die Innenstadt feststellten und wir schlenderten erstmal weiter um ein Dinner zu uns zu nehmen. Den Namen des Restaurants habe ich vergessen, was Stefan aß hab ich auch vergessen, aber mein Irish Stew war gut.
Danach sind wir zurück in John Cleerys Bar und genehmigten uns erst mal eine Pint Kilkenny. Dieses Bier ist äußerst lecker und obwohl es hier in Deutschland in jedem irischen Pub zu haben ist, bekommt man es in Irland nur in Kilkenny und in einigen Pubs in Dublin. Schade, ist aber so.
Dank unserer T-Shirts wurden wir von einem kanadischen Pärchen angesprochen, mit dem wir uns angeregt unterhielten. Irgendwann spielte dann die Musik. Das wunderbare in diesem Pub ist, dass kein Mikrofon und kein Lautsprecher von den Musikanten genutzt wird. Jeder oder jede, die sich berufen fühlt, stellt sich neben die Eingangstür und legt einfach los. Begleitet von einer lockeren Gruppe bestehend aus einem Gitarristen, einem Banjospieler, einem Flötisten und manchmal auch von einem Geiger.
Ein alter Mann, ich schätze ihn um die achtzig, sang irische Balladen wie „the old Triangle“, the fields of Athenry und andere Lieder, die unsere Herzen berührten. Irgendwann sang die Kellnerin, zuerst einen irisches, dann ein französisches Lied. Die Tür wurde zugesperrt, da Sperrstunde war und nur noch Eingeweihte bekamen Zutritt.
Einige Lieder und Kilkennys später wankten wir zurück zu unserem B&B und pflegten der Nachtruhe.
Vorher sagte ich noch unseren Moppeds Gute Nacht, die auf einem Parkplatz direkt an der Unterkunft der Weiterfahrt harrten.
Eine kurze Nacht und ein irisches Frühstück später, -habe ich schon erwähnt woraus ein irisches Frühstück besteht? Nein? Ein irisches Frühstück besteht aus zwei Scheiben Pudding, nicht die Süßspeise wie ihr sie kennt, Pudding ist in diesem Fall eine Scheibe Leber- und eine Scheibe Blutwurst, dazu gibt es eine oder zwei kleine Bratwürste, Spiegelei, gebratenen Speck, Bohnen und Toast, sehr reichhaltig also.
Nach diesem Frühstück machten wir uns, quer durch die grüne Insel, auf den Weg nach Galway.
GALWAY
Ohne bemerkenswerte Vorkommnisse erreichten wir die zweitgrößte Stadt der Republik Irland über großzügig ausgebaute Nationalstraßen. Das Problem, also mein Problem tat sich erst auf, als wir ohne Irrungen das gebuchte Hostel erreichten, jedoch nicht gleich einen Parkplatz für unsere Moppeds fanden. Das zuvor genossene irische Frühstück rumorte in meinen Innereien. Nachdem wir das Stadtcentrum und das Hostel zum dritten mal umrundet hatten, fanden wir dank des freundlichen Hinweises eines Einheimischen ein Parkhaus, nicht allzu weit von unserer Unterkunft.
Nicht allzu weit trifft auf Menschen zu, die ihr Verdauungssystem im Griff haben und diesem nicht gnadenlos ausgeliefert sind. Bei mir war es anders. Es war allzu weit. In Windeseile nahm ich meine Packtaschen von meinem Mopped, rief Stefan, der in aller Ruhe sein Gepäck sortierte, zu, dass ich ihn an der Rezeption wiedersehe und eilte im Laufschritt die 200 Meter zum Hostel.
Im Erdgeschoss war ein leerer Raum mit zwei Türen. Eine führte zum Treppenhaus, eine zum Fahrstuhl. Angesichts meiner dringlichen Lage wählte ich letzteren. Im Obergeschoss angekommen hielt ich mich nicht lange an der Rezeption auf, sondern stürmte weiter zum gut ausgeschilderten Örtchen wo ich rechtzeitig ankam. Aber dann wollte sich der Verbindungsreißverschluss meiner Motorradjacke zur Hose nicht gleich öffnen lassen und dann war eh alles egal.
Stefan wartete eine gute halbe Stunde auf mich an besagter Rezeption, währenddessen..., nun darüber decken wir den Mantel des Vergessens.
Nach einer Dusche zog es uns in die Partystadt Galway.
Habe ich schon erwähnt, dass ich auf der Suche nach Hosenträgern war? Die Hose meines Motorradkombis neigt dank der altersbedingten Veränderung meiner Hüft- und Bauchproportion zum Rutschen. Egal wie eng ich den Hosenbund auch schnalle, sie rutscht. Die Hose.
Hosenträger, in Irland Braces genannt, könnten Abhilfe schaffen. Versucht mal in Irland Hosenträger zu kaufen. Außer einem mitleidigen „sorry, we don`t have some“ und einem noch mitleidigeren Lächeln des Verkäufers oder der Verkäuferin, erntet man alles, nur keine Hosenträger. Ein Herrenausstatter in Galway hatte welche, aber zu welchem Preis? Und dann noch potthässlich... Mit der Ausrede, ich suche Hosenträger in den Landesfarben, die dieser noble Laden natürlich nicht im Angebot hatte, suchten wir das Weite.
Wir hatten Hunger und Durst. Der Trubel durch die Touristen in dieser Stadt war immens. Die Mehrzahl des Publikums war im Studentenalter und wir hätten ihre Großväter sein können. Hätten wir ihre Großmütter vor gut vierzig Jahren kennen und lieben gelernt.
Hätte, hätte, Moppedkette...
Eine Mahlzeit und einige Pints später, also noch später suchten wir unser Hostel auf, in dem wir ebenfalls das Durchschnittsalter erheblich in die Höhe trieben. Bloß weil wir da waren.
Am nächsten Morgen versuchten wir das Parkhaus zu verlassen. Wir hatten beide am Abend zuvor ein Ticket bei der Einfahrt gezogen. Dieses sollte ca 15 Euronen kosten. Pro Mopped. Unverschämt fanden wir das und nahmen uns vor, den Kapitalismus ein wenig weniger zu unterstützen. Als legitime Rechtfertigung diente uns die Tatsache, dass wir mit beiden Moppeds nur einen Pkw-Stellplatz blockiert hatten.
Stefan ging mit seinem Ticket zum Zahlautomaten, zahlte und wir stellten uns nebeneinander vor die Ausfahrtschranke in der Hoffnung zeitgleich das Parkhaus zu verlassen. Der Automat an der Ausfahrt wies Stefans Ticket jedoch zurück mit dem Hinweis, es stünde auf einer Blacklist. Was hatten wir wieder angestellt? Vor lauter Fluchen und dem Motorengeräusch unserer Maschinen überhörten wir völlig, dass aus dem Lautsprecher des Automaten ein Mensch versuchte, mit uns zu kommunizieren. Irgendwann war das Brüllen aus besagtem Lautsprecher hörbar für mich und ich bat Stefan, vielleicht etwas unwirsch, doch bitte seine Schimpftirade und den Motor abzustellen. Dieser Mensch wies uns darauf hin, dass Motorräder in diesem Parkhaus nicht zugelassen seien und wir deshalb auf der Blacklist stünden. Stefans Gestammel über die Problematik am Abend zuvor überhaupt einen Parkplatz für unsere Moppeds zu finden erweichte wohl das Herz des Gesprächspartners und er öffnete die Schranke. Stefan fuhr raus und ich in meiner Aufregung würgte meinen Motor ab. Als er endlich wieder an sprang war die Schranke immer noch offen und ich verließ das Parkhaus mit einem Gefühl der Erleichterung. Danke lieber Parkhauswächter, dass DU uns hast davon kommen lassen.
CLIFDEN
hieß das nächste Ziel. Abends vorher hatten wir die geplante Route dorthin nochmal besprochen und ich äußerte den Wunsch, ein Schloss, das am geplanten Weg lag, zu besichtigen. Den Namen habe ich vergessen. Wir hatten im Vorfeld der Reise beschlossen, dass wir bei diesem Irlandaufenthalt deutlich mehr Zeit mit der Besichtigung von besichtigungswürdigen Objekten verbringen, als bei der Reise fünf Jahre zuvor.
Lag es nun an der Schusseligkeit von Stefans Navy, der als Guide voran fuhr, an seiner ihm eigenen Schusseligkeit oder war es einfach ein dummer Zufall, der uns an der Stichstraße zu besagtem Schloss unauffällig vorbeiführte?
Jedenfalls bemerkten wir erst viele Kilometer später, dass dieses Schloss bei diesem Irlandaufenthalt nicht von uns besichtigt wird. Zu unserer Ehrenrettung muss ich hinzufügen, dass wir im Anschluss noch viele, viele Schlösser, Kirchen, Ruinen und Baudenkmäler besichtigten. Unerwähnt lassen möchte ich, dass dies im schnellen Vorbeifahren geschah. Den Mathematikern und Statistikern unter den LeserInnen sei gesagt, dass pro Besichtigung mehr als eine und weniger als drei Sekunden gewidmet war. Beachtlich angesichts unserer knapp bemessenen Urlaubstage. Man könnte durchaus eine Woche und mehr an einem Ort verbringen und so viel besichtigen wie in den Tagesablauf passt und man hätte doch nicht alles gesehen. Pubs jedoch besichtigten wir ausgiebig. Das war schließlich wichtig zur Aufrechterhaltung der Moral und der guten Laune.
In Clifden angekommen suchten wir erst mal unsere Unterkunft, was nicht weiter schwierig war. Die Wirtin, die so nicht genannt werden wollte, weshalb entzog sich unserer Kenntnis, war eine deutsche Weinsommeliere. Sie hielt sich, wenn schon nicht für etwas Gutes, für etwas Besseres.
Dabei benutzen wir das Wort Wirt oder Wirtin durchaus positiv belegt. Ein leckeres Abendessen in einem Clifdener Seafoodrestaurant später, verbrachten wir noch einen kostspieligen Abend im Innenhof unserer Unterkunft mit Wein und Käse.
Lasst uns nicht über Geld reden, aber diese Art Urlaub, wie wir ihn auf der grünen Insel verbrachten, ist nicht billig. Oft preiswert, wenn man die Qualität des Angebots würdigt, aber manchmal ziemlich überzogen. Nach einer ruhigen Nacht, ich war mittlerweile routiniert in der Anwendung meiner Ohrstöpsel, brachen wir zu unserem nächsten Ziel auf.
BELMULLET, CONNEMARA
Auf dem Weg dorthin passierten wir die Sky Road.
Keine Angst lieber Leser, wir sind nicht im Himmel gelandet. In der Hölle auch nicht. Die Fahrt jedoch war himmlisch. Wilde Felsenküste mit tosenden Brechern des Atlantiks links unter uns, von links kam auch wieder der Sturm, der das Steuern unserer Moppeds auf der engen Straße, eigentlich war es nur ein teilasphaltierter Feldweg, nicht einfach machte. In den Pausen wischte Stefan sich den Angstschweiß von der Stirn und ich versuchte ihn aufzumuntern, indem ich ihn darauf hinwies, dass bei zunehmender Windstärke doch der Regen nachlässt. Das mit dem Aufmuntern muss ich noch üben.
Ein Abstecher ins Hinterland von Connemara führte uns zu Verena, einer Schulfreundin meiner Lieblingsnichte. Toormakeady heißt der Ort, der wildromantisch am Lough Mask liegt und nicht leicht auf einer Landkarte oder im Navy zu finden ist. Erst als Verena uns die Postleitzahl des Gehöftes über whatsäpp mitteilte, fand Stefans Navy den richtigen Weg. Habe ich schon erwähnt wie die Straßen- und Wetterverhältnisse waren? Hab ich.
Bei Verena in Toormakeady angekommen, erlebten wir die Gastfreundschaft der Einwohner. Verena, eine Deutsche , die es vor 12 Jahren, kurz nach dem Abitur, der Liebe wegen auf die Insel verschlagen hatte, ihr Verlobter Liam und Verenas Eltern, die auch zufällig anwesend waren, bereiteten uns ein herzliches Willkommen. An Kaffee und Kuchen stärkten wir uns. Verena und Liam leben dort auf einem Grundstück mit vielen Hektar, einigen Kühen, einem Pferd und 67 Schafen und ohne direkte Nachbarn im Hinterland der westlichen Insel. Das Cottage von Verenas Eltern, das diese sich auf dem Nachbargrundstück eingerichtet hatten, durften wir besichtigen.
An dieser Stelle möchte ich mich bei euch für die Gastfreundschaft bedanken. Ich bewundere Verena für ihren Mut so ganz weit weg von zu Hause und mit nur einem Minimum an Zivilisation ihr Leben zu gestalten.
Zwei Stunden später, mit wieder einsetzendem Regen setzten wir die Reise nach Belmullet fort. An diesen kleinen Ort an der irischen Westküste verbinden mich keine besonderen Erinnerungen. Außer, beim Abendessen lernten wir ein Pärchen aus Boston, USA kennen und wir unterhielten uns ausführlich mit ihnen.
Und dann war da noch was. Am nächsten Morgen bekam Stefan keine Dusche. Angeblich gab es einen weiträumigen Stromausfall und da das Wasser mittels Pumpe aus dem Duschkopf kommen sollte, gab es noch nicht mal eine kalte Dusche. Im Badezimmer rutschte Stefan fast aus und zu allem Überfluss gab es in der Küche nur eine Tüte mit InstantCappucino und eine mit Mocca. Die Tasse mit dem Cappucino stellte mein großzügiger Freund für mich zur Seite und er bereitete sich den Mocca. Nachdem ich den Cappucino gesüßt hatte, was für Stefan ein No Go war, weil er Zucker im Kaffee verabscheut, stellte sich heraus, dass sein Mocca ein süßer Kakao war. Das ging noch weniger. Die Tüte Espresso, die sich heftig gegen das Öffnen wehrte, verdünnte er dann mit zu viel Wasser. Dieser Tagesbeginn war nicht gut für ihn. Und wenn ein Tagesbeginn für meinen besten Freund nicht gut ist, dann ist er auch für mich nicht gut. Selbst wenn ich nichts zu meckern habe, wenn Stefans Laune mies ist, geht es keinem in näherer Umgebung gut.
Im Nachhinein stellt sich mein detektivisch denkendes Hirn die Frage, wie die Warmwasserbereitung für den Kaffee/Kakao möglich war. Es war doch Stromausfall.
Vor der Weiterfahrt setzte wieder Regen ein, doch das Anziehen der Regenkombis war mittlerweile Routine.
Das nächste Ziel hieß
SLIGO
Der Sturm machte uns zu schaffen. Es war nicht einfach bei diesen Böen die Spur zu halten. Beim dritten Halt bemerkte mein Freund, dass sich seine 500 Euro teure Gleitsichtbrille nicht mehr auf seiner Nase befand. Irgendwo beim Ausziehen der Sturmhaube während einer Pause muss sie runter gefallen sein. Trotz mehrfachen Abfahrens des Weges zu unserem letzten Haltepunkt fand sich das teure Stück nicht wieder. Shit häppens.
Was ich bei meinem Freund so bewundere, ist seine Eigenart, seinen Frust lauthals raus zuschreien, mit Handschuhen und anderen, glücklicherweise weichen, Gegenständen um sich zu schmeißen, aber danach wieder zur Ausgeglichenheit zurückzufinden.
Menschen, die ihn nicht kennen, können Angst bekommen, wenn er so cholerisch wird. Aber er wird niemals wirklich agressiv oder gewalttätig. Innerhalb von kurzer Zeit akzeptiert er die Situation und ist gleich wieder positiv gestimmt. Meistens jedenfalls.
In Sligo angekommen, fuhren wir mehrmals die Straße ab, rauf und runter, in der sich unser B&B finden lassen sollte. Die Adressangaben in booking.com sind manchmal etwas kryptisch. Die Straße und der Name der Unterkunft wird zwar genannt, aber keine Hausnummer. Oft gibt es eine solche nicht mal. Zumindest nicht am Haus angebracht. Tapfer, wie wir nun mal sind, gaben wir nicht auf und fanden unser Domizil. Nur seltsam, dass das Innisfree Guesthouse direkt gegenüber der Einmündung, von der wir auf besagte Straße einbogen, mit einem großen Schild auf seine Existenz hinwies. Seltsam war auch, dass wir den Hinweis der freundlichen Tankwartin der Tankstelle wo wir unsere Tanks nachfüllten, ignorierten. Diese Tankwartin wies uns just zurück an die Stelle, von der wir gekommen waren. Da wir unserer pfadfinderischen Beobachtungsgabe allzuviel vertraut hatten, unterstellten wir der Tankwartin, völlig zu Unrecht, einen Anflug von Demenz oder zumindest eine beabsichtigte Verwirrungstaktik. Asche auf unser Haupt.
Der erste Eindruck des Gasthauses war nicht schlecht. Wir bezogen unser Zimmer und Stefan trat, wie Gott ihn schuf, unter die Dusche. Wasser kam schon mal. Dieses war kalt. Stefans Laune sank.
Ganz tief sank sie. Tiefer als der Marianengraben im Atlantik.
Ich erbarmte mich und zog mir Jeans und T-shirt wieder an, die ich in Erwartung einer warmen Dusche bereits abgelegt hatte. Ich suchte die Vermieter auf, reklamierte den Zustand der Dusche und erhielt den Bescheid, dass sich ein Installateur im Laufe des Tages an der Warmwasserversorgung zu schaffen gemacht hatte. Dabei sei wohl der Timer der Heizung verstellt worden und wir möchten uns doch bitte nur zehn Minuten gedulden, bis das wohl temperierte Nass aus unserem Duschkopf sprießen möge. Langer Rede kurzer Sinn, es dauerte eine gute drei viertel Stunde bis Stefan endlich warm duschen konnte. Als er fertig war, stellte ich meinen Körper unter den Brausekopf und als ich fertig mit einseifen war, war das Wasser nicht mehr warm. Stoisch duschte ich die Seife kalt ab. Danach war ich wach. Wach war ich eigentlich schon vorher ob des Stresses wegen des Sturms und der mangelhaften Warmwasserversorung bei Stefan, aber es kann niemals schaden immer noch ein bisschen wacher zu sein.
Wir machten uns auf ins Städtchen zwecks Vereinnahmung des Begrüßungspints und eines Abendmahles.
Habe ich schon erwähnt, dass meine Suche nach Hosenträgern bis zu diesem Zeitpunkt immer noch erfolglos war? In der Innenstadt von Sligo zeigte Stefan auf ein Geschäft für Herrenausstattung. Es war 17:57h und der Laden schloss um 18:00h. Nach einem etwas abweisenden Empfang im Erdgeschoss mit Hinweis auf den Ladenschluss in Kürze wurden wir ins Obergeschoss verwiesen. Dort empfing uns ein äußerst freundlicher und geschäftstüchtiger Verkäufer, der mir die gesamte Kollektion an Hosenträgern, die in diesem Laden wohl an mehrere Orten versteckt war, präsentierte. Lange nach 18:00h entschied ich mich für ein Paar Hosenträger in Irisch Grün, das aus meiner Sicht auch noch bezahlbar war.
Im Restaurant, das wir im Anschluss aufsuchten, half mir Stefan beim Anlegen meiner Errungenschaft. Der oder die ein oder andere TischnachbarIn guckte zwar etwas befremdlich zu, was meiner Freude über diese Errungenschaft jedoch keinen Abbruch tat.
Nichtmotorradfahrer und vor allem der weibliche Teil derselben verstehen vielleicht nicht die Bedeutung dieses Kleidungsergänzungsstücks.
Diese Bedeutung möchte ich im Anschluss kurz erläutern: Mann trägt gewöhnlich im Schritt einen Körperteil, der sich frei baumelnd am wohlsten fühlt. Sitzt die Hose beim Hinsetzen auf eine Motorradsitzbank zu tief, wird der erwähnte Körperteil in eine Position gezwungen, die unangenehm für den Träger sein kann. Dank Hosenträger, wird die Bewegungsfreiheit jedoch so eingeschränkt, dass eine Korrektur der Position vermeidbar wird. Diese Korrektur ist gar nicht so einfach mit dicken Handschuhen und Verbindungsreißverschluss zwischen Hose und Jacke. Versteht mal. Ich war glücklich.
Das Essen war gut und die Pints im Pub auch. Eigentlich besuchten wir zwei Pubs. Im ersten war das Publikum beim Betreten schon besoffener, als wir an diesem Abend die Absicht hatten zu werden. Ein Ex-Jockey schüttelte uns mindestens zehn mal die Hand, wobei ich hoffe, dass er sich dieselbe nach jedem seiner häufigen WC-Besuche auch gewaschen hat. Eine nicht minder nüchterne Frau sprach uns auf eher aufdringliche Weise bei der Raucherpause an. Wir sind beiden entkommen.
Mir erschloss sich nicht wirklich, warum drei Securityguards den Eingang des zweiten Pubs bewachten, nichts destotrotz genossen wir unser Smithwicks, ein irisches Red Ale Bier, dass recht schmackhaft ist. Nicht ganz so gut wie das Kilkenny, aber lecker. Die angekündigte Lifemusik in Gracies Bar stellte sich als Coverinterpretation internationaler Musik mit einem Interpreten heraus, der ab und zu auch mal einen Ton traf.
Wieder zurück im B&B verbrachten wir, also ich, dank meiner Ohrstöpsel eine ruhige Nacht. Stefan behauptet zwar, ich hätte geschnarcht, aber das glaube ich ihm einfach nicht. Ist doch sein Part. Das Schnarchen.
Am nächsten Morgen freuten wir uns auf ein gutes Irisches Frühstück. Das Buffet sah auf den ersten Blick recht gut aus. Brot, Obst, Wurst, Käse, Kaffee, alles war da. Bei näherer Betrachtung des Brotes stellte ich überrascht fest, dass es in Sligo grünes Brot gibt. Anfänglich sah ich darin keinen Mangel. Bei näherer Betrachtung bemerkte ich jedoch einen Schimmelbefall bei 2/3 der dargebotenen Brotscheiben. Auch wenn die Iren besondere Eigenarten für sich in Anspruch nehmen dürfen, das grüne Brot weckte meine Zweifel an der Legitimität dieses Lebensmittels. Wir haben uns nicht weiter mit Mängelrügen am Frühstück aufgehalten, angesichts der Resistenz der Vermieter bei der Beschwerde über das fehlende warme Wasser am Abend zuvor. Wir nahmen zu uns, was genießbar erschien und setzten unseren Weg fort nach Dungloe im County Donnegal fort.
DUNGLOE
Die Fahrt war, wie die Fahrten zuvor, nur dank unserer gut funktionierenden Regenkombis zu genießen.
Übrigens, Stefan und ich sind uns einig, dass bei der Bewertung des Urlaubs das Wetter komplett außen vor bleibt. Wer Sonne will, sollte ans Mittelmeer fahren. Wir haben uns in Erwartung des Wetters ganz bewusst für Irland entschieden. Die Fahrt verlief zwischendurch trocken, wobei am Ende wieder Regen einsetzte.
In Dungloe fanden wir ein B&B, das unsere Erwartungen mehr als übertraf. Vom Zimmer aus hatten wir einen wunderschönen Ausblick über die Meeresbucht und die Wirtinnen waren sehr gastfreundlich. Im Ort fanden wir ein Pub und ein Restaurant, das unsere kulinarischen Erwartungen mehr als erfüllte. Nur die Lifemusik von einem Interpreten, der internationale Songs coverte und dabei auch mal den Ton traf, verdient etwas Kritik. Die Nacht war erholsam, das Frühstück fantastisch und die Dusche funktionierte so wie sie sollte.
Auf nach
STRANORLAR
Dieser unscheinbare Ort wäre nie unser Zwischenziel geworden, hätte uns nicht Stefans Kollege einen Besuch bei seiner Schwester, die der Liebe wegen vor vielen Jahren hier in Irland gelandet ist, empfohlen. Der Weg hierhin führte uns bei temporärem Sonnenschein entlang spektakulärer Küsten- und Passstraßen. Bei einer Pause an einer Kaffeebude trafen wir auf einen Bristol. Also eher auf den Fahrer desselben. Dieser Bristol war mit einem Krefelder H-Kennzeichen unterwegs. Der Fahrer setzte uns in deutscher Sprache mit einem gewissen Stolz darüber in Kenntnis, dass der Bristol in den sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts in England gefertigt wurde und mit einem 6,3 Liter V8 Motor mit 340 PS ausgestattet ist. Dass nur 200 oder 250 Stück davon gebaut wurden, ist angesichts des vermutlichen Spritverbrauchs weiter nicht verwunderlich. Was wiederum den Golfspieler, sein Hobby ließ der Fahrer in einem Nebensatz, ganz nebensächlich einfließen, nicht beeindrucken dürfte.
Im Kee`s Hotel an der Mainstreet in Stranorlar angekommen, konfrontierten wir die Rezeptionistin, die uns ein Doppelzimmer für 95 Euro anbieten wollte, mit dem Angebot der Unterkunft auf booking.com von 85 Euro. Leicht verwirrt befrug diese dann ihre Chefin und jene meinte nach kurzem Nachdenken, dass sie uns eine special Offer machen könne. 65 Euro für das DZ incl. Frühstück. Triumphierend lächelnd akzeptierten wir das Angebot, bezogen unsere Suite, genossen eine ausgiebige Dusche mit ordentlich viel warmem Wasser und machten uns auf den Fußweg zur Schwester von Stefans Kollegin.
Bei Caren, Ianna, Fionn, Liesel und Fritz mit ihren beiden Hunden wurden wir dann herzlichst empfangen. Wir erfuhren einiges über irischen Sport (vor allem Gaelic, eine Art Kombi aus Rugby und Fußball, sowie Hurling) und andere irischen Besonderheiten. Wichtigste Info für uns: In Nordirland sollten wir vielleicht besser nicht unsere T-Shirts tragen. Die Tourdaten auf der Rückseite wären nicht das Problem, aber eventuell die Vorderseite mit der irischen Flagge. Es gibt wohl immer noch Empfindlichkeiten zwischen Nordiren und Bewohnern der Republik.
Am nächsten Tag führte uns der Weg über kleine und mittlere Straßen nach
MALIN HEAD
dem nördlichsten Punkt Irlands. Die Aussichten auf Landschaft, Küste und Meer waren einfach nur genial. Vom Malin Head aus beschlossen wir, nicht wie ursprünglich geplant über Londonderry nach
NORDIRLAND
einzureisen, sondern die Fähre von Greencastle nach Magilligan Point zu nehmen.
Dadurch kamen wir recht früh in Portrush an, bezogen unser Zimmer und machten noch einen Ausflug zum Giants Causeway, ca 15 KM östlich von Portrush.
Der Giants Causeway ist eine bizarre Ansammlung aus sechs- oder achteckigen Basaltsäulen, die aus dem Meer zu wachsen scheinen. Die Gelegenheitsstraße des Riesen wie die wörtliche Übersetzung des Namens lautet hat eine anekdotische Legende. Ein Irischer Riese verliebte sich vor ganz langer Zeit in die Gattin eines schottischen Riesen. Diese besuchte er über die damals noch vorhandene Landbrücke zwischen Irland und Schottland. Eines Tages, während eines Riesenschäferstündchens kehrte der gehörnte Schotte frühzeitig nach Hause zurück und ertappte seine Gattin beim Liebesspiel mit dem Irischen Rivalen. Da der Schotte über eine noch gigantischere Leibesfülle als der Ire verfügte, ergriff letzterer flugs die Flucht über die Landbrücke und ließ sich zu Hause von seiner Mutter als Baby verkleiden und in eine Wiege legen. Eine Riesenwiege selbstverständlich. Außer Atem stürmte der Schotte kurz darauf die Irische Hütte und gewahr bass erstaunt das kleine Kind, das fast so groß war wie er selbst. Wie riesig musste wohl der Vater des Kleinen sein? Das wollte er nicht herausfinden.
Er nahm die Beine in die Hand und überquerte in schnellem Lauf ein letztes mal die Landbrücke. Im sicheren Schottland angekommen, nahm er ein paar Felsbrocken und zertrümmerte damit die Brücke. Danach hörte und sah man nie wieder etwas von einem Irischen Riesen in Schottland oder umgekehrt. Soviel dazu.
Der Abend in Portrush verlief unspektakulär und da wir unsere Tour-T-Shirts in den Taschen ließen, recht friedlich.
Das Zimmer in Franks B&B und auch das Frühstück waren sehr gut. Gestärkt setzten wir unsere Tour fort über eine wunderschöne Küstenstraße entlang der Antrim Coast, wie dieser Küstenabschnitt im Norden Nordirlands genannt wird. Das Dunluce Castle besichtigten wir vom Parkplatz aus, deutlich länger als die üblichen 3 Sekunden. Den kurz dahinter liegenden Giants Causeway ließen wir links liegen, da wir selben ja schon am Tag zuvor besucht hatten. Danach wollten wir eine Hängebrücke, genannt Carrick A Rede Rope Bridge, besichtigen. Gesehen haben wir den Parkplatz, der noch einen ordentlichen Fußmarsch von der Brücke entfernt lag. Stefan hatte sich schon Tage zuvor eine Achillessehnenentzündung zugezogen, die beim Moppedfahren nicht weiter hinderlich war, aber Beschwerden bei Fußmärschen mit sich brachte. Somit konnten wir diese Brücke leider nicht besichtigen, was mein Wohlbefinden nicht weiter beeinträchtigte. Laufen ist eh nicht so mein Ding. Man nutzt nur die Schuhsohlen ab und es macht durstig....
Torr Head war das nächste Zwischenziel. Von dort haben wir den Mull of Kintyre, der jenseits der Meerenge der Irischen See in Schottland liegt, gesehen. Paul McCartney hat es mit einer Hymne besungen. Wir waren den ganzen Tag ohne angelegte Regenkombis unterwegs. Den Sturm hatten wir weit hinter uns gelassen und wir konnten uns endlich ganz den Freuden einer Motorradfahrt im Trockenen widmen.
Die Rotbuchenallee bei Amroy, im Reiseführer gepriesen, wollten wir unbedingt sehen. Doch es ging uns wie bei dem eingangs erwähnten Schloß. Stefans Navy führte uns daran vorbei.
Die Hauptstadt Belfast durchquerten wir auf Schnellstraßen. Stefan verzichtete mir zu Liebe auf eine ausgiebigere Besichtigung, da er weiß, wie groß meine Abneigung gegen Städte mit mehr als zehntausend Einwohnern ist.
Ihm zu Liebe hatte ich den Aufenthalten in Galway und Dublin zugestimmt, was mich nicht geringe Überwindung gekostet hat. Das schöne an einem Urlaub mit Stefan ist, wir sind uns schnell einig. Und wenn wir mal nicht einer Meinung sind, dann finden wir immer einen Kompromiss, der für beide tragbar ist.
In Donaghadee , einem kleinen Ort an der Ostküste Nordirlands suchten wir die gebuchte Unterkunft auf. Ein Bezug derselben war zunächst nicht möglich, da just vor dem Eingang Dreharbeiten für die englische Fernsehserie Hope Street stattfanden. Vom Tisch des benachbarten Pubs folgten wir den Aktivitäten des Aufnahmeteams bei einer Pint. Danach bezogen wir unser Zweizimmer Appartement, was ich mit Genugtuung registrierte. Also die zwei Zimmer. Auch wenn ich mittlerweile eine gewisse Routine mit Ohropax entwickelt hatte, frohlockte ich bei der Aussicht auf eine ruhige Nacht ohne Fremdkörper im Ohr.
Nach einem guten Essen endete der Abend in Irlands ältesten Pub (wenn's denn stimmt): Grace Neills Bar. Die Nacht war erholsam, das Frühstück okay und so starteten wir den drittletzten Tag auf der grünen Insel. Den letzten Rest von Nordirland sind wir auf dem Mourne Coastal Way gefahren, dann mit der Fähre nach Strangford, um am Schluss das zu vollenden, was wir vor fünf Jahren nicht geschafft haben: Einmal durch die Mourne Mountains, im Süden von Nordirland, zu fahren.
Das alles bei Kaiserwetter. Ja, wir haben es nicht glauben wollen, es gibt die Sonne auch in Irland. Um zu unserem Etappenziel zu kommen, haben wir dann nochmal eine Fähre genommen, rüber nach
CARLINGFORD
Hier schloss sich der Kreis, den wir fünf Jahre zuvor eröffnet hatten. Wir haben die grüne Insel einmal komplett umrundet. Auf dem Weg zur Fähre, also noch in Nordirland hielten wir kurz auf einem Parkplatz für eine Zigarettenpause. Ein Nordire, Mark heißt er, der auf seinem Mountainbike vorbei kam, hielt an, sprach uns an und meinte er sei bis zu seinem Schlaganfall selbst Motorrad gefahren. Dabei habe er auch Deutschland erkundet. Er bot uns an, in seinem Haus zu duschen und einen Imbiß zu nehmen, was wir dankend ablehnten. Unsere Unterkunft war ja nicht mehr weit entfernt. Doch für seine Gastfreundschaft sind wir ihm heute noch dankbar. Ich bin der Meinung, dass wenn jemand auf dieser Insel in Not gerät, er nicht lange um Hilfe betteln muss, bis ihm diese zuteil wird.
Jetzt nach nochmaligem Durchlesen des Berichts bis hierher, fällt mir auf, dass ich die Eindrücke, die Irlands Landschaft bei mir hinterlassen hat, nicht genügend gewürdigt habe.
Dieses Land, diese Insel bietet Augenschmaus pur. Der Wechsel von bewaldeten Flächen im Inselinnern zur schroffen Felsenlandschaft Richtung Küste ist atemberaubend schön. Du fährst auf schmalen Straßen durch eine Landschaft, die Du nicht genügend beachtest, weil Dein Augenmerk der Straße gewidmet ist. Mehr als einmal drückte ich den Lenker im letzten Moment in die richtige Richtung, um nicht im Graben oder an einer Mauer zu landen, weil ich abgelenkt war; sei es durch den Anblick von blühenden Fuchsienhecken, von bizarren Felsformationen oder dem wilden Wolkenspiel im Rückspiegel.
Hier in unserem Land glaubst Du, die Farbe grün gibt es in zwanzig oder dreißig verschiedenen Tönungen. Von ganz hell bis tief dunkelgrün-grau. In Irland erlebst Du eine Farbvielfalt, die sich in hundertfachen Grüntönen darstellt. Ahornbäume erreichen dort eine Mächtigkeit, die hierzulande mit der von hundertjährigen Eichen vergleichbar ist. Die Stämme der Ahorne haben einen gigantischen Durchmesser. Schwer zu beziffern, wie groß der war, da wir nicht angehalten und nachgemessen haben. Die Kronen der Bäume beschatten Wiesen und Weiden, die in einem ganz anderen Grün erscheinen. An den Küsten, wo Felsen dominieren, wachsen Flechten, Moose, Farne und Wachholderbüsche, die grade in einem zarten Gelb blühten, als wir dort waren. Wenn es denn Wachholder war, der uns gelb entgegen lächelte. Manchmal bin ich nicht so sicher in der Bestimmung von Pflanzen oder Vögeln, ich entscheide dann spontan, um was es sich handelt.
Der Norden der Insel ist reich an Torfflächen, an Mooren, wo die Erde schmatzt und gluckst, wenn Du sie mit deinen Füßen betrittst. Tief unter der Küstenstraße bricht sich der Atlantik in wilder Gischt an den Felsen und sorgt für eine feine Salzkruste auf dem Helmvisier und allen anderen Oberflächen des Motorrades. Wenn sich in, hoffentlich, ferner Zukunft mal der ein oder andere Rostfleck an unseren Gefährten zeigt, werden wir uns vielleicht erinnern, an welcher Stelle dieser spektakulären Küste er seinen Ursprung hat.
Der Wind, den wir in Sturmstärke erleben durften, sorgt für freie Atemwege und den ein oder anderen Adrenalinstoß, wenn das Motorrad aus der schmalen Fahrspur geweht wird.
Die Menschen, denen wir begegneten, zeichnen sich durch eine Hilfsbereitschaft und Rücksichtnahme aus, die hierzulande selten ist.
Vor einem Supermarkt in irgendeinem Ort, wo ich hoffte, Hosenträger zu finden, sprachen wir das Wort Kaffee aus. Eine ältere Frau, die gerade auf dem Bürgersteig vorbeikam, schnappte dieses Wort auf und zeigte uns ganz unaufdringlich einen Blumenladen, drei Häuser weiter, in dem wir einen vorzüglichen Kaffee bekommen könnten. Diesem Laden war nicht anzusehen, dass es dort auch Kaffee gab. Jedenfalls genossen wir, dank des Hinweises der freundlichen Lady einen schmackhaften Cappucino für einen fairen Preis.
In einem anderen Ort, wo wir dank der mangelhaften Navyführung wenden mussten, hielt gleich ein Ire in seinem SUV an und fragte, ob er helfen kann.
Siehst Du auf einer der schmalen Straßen in weiter Ferne ein Fahrzeug, das anhält und geduldig wartet bis Du vorbei bist, kannst Du sicher sein, dass der Fahrer ein Ire, ein Einheimischer ist. Touristen in ihren Mietwagen erkennst Du daran, dass sie Dich dazu zwingen an einer Stelle anzuhalten, wo Du kaum in der Lage bist, Dein Mopped aufrecht zu halten.
Wo war ich stehen geblieben? Carlingford war der Ort, den wir in guter Erinnerung hatten, von unserem letzten Aufenthalt im Jahr 2017. Wir versprachen uns einen Aufenthalt dort, der mindestens ähnlich angenehm in unserer Erinnerung verbleiben möge. Die Unterkunft, das B&B Shalom war die gleiche wie damals. Die Wirtin empfing uns herzlich und bedankte sich, dass wir uns ihrer erinnerten bei diesem Aufenthalt. Gleich auf dem Damm, der den Ort von der irischen See trennt, ist ein Phantasiegarten angelegt, der Leprechauns (irische Kobolde), unsichtbare Bäume und Felsen zeigt, an denen im Jahr 1721 nichts geschah.
Nach der üblichen Dusche zogen wir los Richtung City, Richtung Ortskern des kleinen Dörfchens. Das Nachtleben wartete auf uns. Ich glaube, es wartet heute noch auf uns, denn an jenem Abend haben wir es nicht gefunden.
Wir waren nicht wirklich enttäuscht, dass sich unsere Erwartungen an diesen Abend nicht erfüllten. Wahrscheinlich haben wir die Erinnerungen von vor fünf Jahren mit der Zeit idealisiert. Weder das Essen noch der anschließende Pub-Aufenthalt sind beschreibenswert.
Lediglich beim Absacker im Ma Baker`s lernten wir ein nettes Pärchen aus Manchester kennen, die beide aus Irland stammen und hier auf Heimaturlaub waren. Mit diesen beiden entspann sich ein angeregtes Gespräch.
Nach einem ausgezeichneten Frühstück am nächsten Morgen und einem herzlichen Abschied von unserer Wirtin machten wir uns auf Richtung Dublin.
DUBLIN
liegt nicht weit von Carlingford, doch wir hatten uns entschlossen, ein wenig das Hinterland der Küste zu erkunden und nicht auf kürzestem Weg in die Landeshauptstadt der Republik Irland zu fahren. So cruisten wir durch eine Landschaft, die ein wenig an die Eifel erinnert. Vorbei an Seen, durch grüne Täler und über frische Höhen erreichten wir Mullingar. War es dort oder in dem Ort davor oder dahinter, wo es uns gelang, eine offene Gaststätte zu finden, wo ein Kaffee zu bekommen war. Ich weiß es nicht mehr so genau. Was mir jedoch in Erinnerung bleibt ist, dass viele Häuser, an denen die Bezeichnung Café, Bistro oder Bar stand, geschlossen waren. Ganz extrem war das in Nordirland, aber auch in der Republik waren sehr viele Gaststätten geschlossen. Gut, manche hatten gerade ihren Ruhetag, aber andere haben wohl die Pandemie nicht überlebt.
Stefans Navy führte uns dann ganz entspannt, trotz Rushour, zum Cassidys Hotel, das ziemlich zentral in Dublin liegt. Ich hatte dieses Hotel wegen seiner zentralen Lage und weil es einen abgeschlossenen Parkplatz für unsere Zweiräder bot, ausgesucht. Auf den Preis für diese eine Übernachtung wollen wir an dieser Stelle nicht näher eingehen.
Angenehm überrascht stellte Stefan fest, dass dieses Hotel kaum 100 Meter von Murrays Bar entfernt lag, wo er ein paar Jahre zuvor schon einen „Feierabend“ erlebt hatte. Was an sich schon eine Frechheit ist. Irland gehört mir und ihm. Also uns beiden im Doppelpack und nicht ihm und irgendwelchen dahergelaufenen Fußballkumpels vom 1. FC Köln!
Damit das auch mal wieder klar ist.
Nach einem kurzen Orientierungsfußmarsch um den Straßenblock, ob sich nicht noch bessere Pubs finden ließen, ließen wir uns in Murrays Bar nieder. Im Innenhof, unter freiem Himmel kamen geschätzt etwa 300 Menschen zusammen, die bei lauter und lautester Musik in Verbindung mit berauschenden Getränken, mitten in Dublin ein Gefühl von Oktoberfest vermittelten. Wir entschlossen uns, das Essen im ruhigeren Innenraum zu uns zu nehmen.
Das Essen war schmackhaft und ausreichend. Das Dessert in Form von Smithwicks nahmen wir dann im Innenhof zu uns. Es war schon interessant, von einer Art Balkon aus, dem lautstarken Treiben des Publikums zuzuschauen. Es gab lange Schlangen von Leuten, die auf einen freien Tisch warteten. Es gab unaussprechliche Musik in einer Lautstärke, die jedes Gespräch unmöglich machte. Dennoch schaffte es das jugendliche Publikum, wir waren nur alte weiße Männer in diesem Getöse, noch lauter zu reden und zu lachen.
Mittlerweile kann ich die Gefühle unserer Elterngeneration nachvollziehen, die vor mehr als vierzig Jahren Diskotheken oder Konzerte erlebten, wo wir damals feierten. Ein zweites Dessert hielten wir noch aus und dann begaben wir uns in den angenehm ruhigen Innenraum des Pubs. Dort bauten die zwei Johns gerade ihre Musikanlage auf und machten ihren Soundcheck. Eigentlich erwarteten wir, wie in einigen anderen Pubs zuvor, dass mangelhafte Sangesqualität durch Lautstärke wettgemacht werden sollte.
Wie angenehm überrascht waren wir, als die ersten Töne des ersten Liedes trafen. Nicht nur den Ton, sondern es war zudem ein traditionelles Irisches Volkslied. Vorgetragen von zwei Interpreten, die durch ihre Unaufdringlichkeit und Beherrschung ihrer Kunst unsere Begeisterung fanden. Einige Smithwicks und Stunden später, just als die beiden Künstler den Anschein erweckten, Feierabend machen zu wollen, traute ich mich zur Bühne und bat den einen John, der in Wirklichkeit ganz anders hieß, „Peggy Gordon“ für mich zu spielen.
Er kannte den Song zwar vom Hören-Sagen, war jedoch nicht in der Lage, ihn für mich zu spielen. Alles Bitten meinerseits war vergeblich. Auch mein zweiter Wunsch, „Maids when you are young“ blieb unerfüllt. Der andere John, der auch nicht so hieß, zuckte ebenfalls ratlos die Schultern.
Als ich meinen dritten Wunsch äußerte, trat ein Strahlen in Johns Augen. „Waltzing Mathilda“ war in ihrem Repertoire. Mit Gänsehaut lauschten wir diesem bewegenden Lied und als die Band dann einpackte, machten wir uns auf den Weg nach draußen.
Stefan äußerte den Wunsch noch im the Celts vorbeizuschauen. Mein Ansinnen richtete sich eher nach Bettruhe. Meiner Erläuterung, dass ein Besuch in diesem Pub entweder toll würde, oder einer Enttäuschung gleich kommen sollte, konnte er folgen. Sollte es eine Enttäuschung werden, würde die Erinnerung an diesen Abend eher negativ werden. Was wir uns doch besser sparen sollten. Sollte er toll werden, dieser Besuch im Celts, würde unsere Nacht seeeehr kurz werden. So kurz, dass an ein entspanntes und nüchternes Motorradfahren am nächsten Morgen nicht zu denken sei.
Stefan, vernünftig, wie er sein kann, wenn ich ihn überzeuge, schloss sich meiner Argumentation an und wir begaben uns zur Nachtruhe.
Der nächste Tag führte uns in die
WICKLOW-MOUNTAINS
Wicklow heißt die Stadt an der Ostküste Irlands, in der wir unsere letzte Nacht auf der Insel verbringen wollten. Besagte Mountains, auf Deutsch Berge, liegen im westlichen Hinterland zwischen Dublin und Wicklow. Diese Berge sind einen Ausflug wert. Saftig grüne Täler mit kleinen Cottages wechseln ab mit kargen Höhen wo Passstraßen durchführen.
Irgendwann durchquerten wir den Ort Hollywood. Am Ortsende fiel mir ein großer Schriftzug am Berg auf. Dort stand weithin sichtbar das Wort „Hollywood“. Sofort war mir klar, dass das ein Foto wert sei. Doch Stefan, der wie so oft voraus fuhr und sich auf sein Navy und die Straße konzentrierte, bemerkte es nicht. Ein paar Kurven weiter hatte ich ihn soweit eingeholt, dass er mein Hupen hörte. Ganz am Anfang unserer Reise hatten wir vereinbart, dass wenn er mich zwei oder dreimal Hupen hört, er bei nächster Gelegenheit anhalten solle, weil ich eine Botschaft für ihn hätte. Wenn ich nur ein mal hupen sollte, bedeutete das gar nichts, weil ich mit meinem grobmotorischen Daumen irrtümlich an meinen Hupenschalter gekommen bin.
Grundsätzlich funktionierte unsere Kommunikationsmethode. Bereits mehrfach hatte ich ihn gebeten, zum Anhalten einen Platz zu wählen, der möglichst eben und nicht unbedingt inmitten der Straße lag, auf der auch größere Fahrzeuge als unsere verkehren.
Stefan hielt an. Auf einer abschüssigen geschotterten Seiteneinmündung hielt er an. Mühsam mein Gleichgewicht haltend, dabei mit dem einen Bein in der Luft wedelnd, weil der Bodenkontakt fehlte, brüllte ich ihm meine Botschaft zu. Ich musste brüllen. Einerseits, weil unsere Helme sehr gut Geräusche dämpfen können, andererseits, weil die Motoren unserer Moppeds liefen, was eine leise Konversation in Wohnzimmerlautstärke unmöglich machte. Stefan leitete flugs, ganz nonchalant sein Wendemanöver ein, das ihm dank seiner langen Beine weiter nicht schwer fiel.
Meine Wenigkeit setzte etwas unbeholfen zu einer Rechtswende am Berg an. Gleichzeitig auf den Verkehr zu achten und dabei gefühlvolles Spiel mit Kupplung und Gas anzuwenden gelang mir nicht ganz. Im Stand, mitten auf der Straße kippte meine Tracer langsam aber unaufhaltsam nach rechts. Als mein rechter Fuß endlich Bodenkontakt hatte, war die Schräglage zu heftig um das Fahrzeuggewicht noch aufrecht zu halten. Wir reden hier nicht von einem leichten Fahrrad. Mein Mopped wiegt leer 220 Kilogramm. Mit mir und dem Gepäck darauf war deutlich mehr als eine viertel Tonne zu halten.
Manchmal komme ich mir vor wie Supermann, der alles kann. In diesem Augenblick nicht. Leise fluchend legte ich die Tracer ab und achtete dabei darauf, mein Bein nicht einzuklemmen und mich mit dem rechten Unterarm auf dem Asphalt abzustützen. Gleichzeitig betete ich darum, dass nicht just in diesem Moment ein LKW mit mangelhaftem Bremssystem diese Straße an dieser Stelle passieren möge.
Verzweifelt stand ich vor meiner neuen Maschine, die röchelnd vor mir lag. Mein guter Freund, nein, mein bester Freund, Stefan durchschaute sofort die Situation und eilte mir zu Hilfe. Nicht ohne seine BMW heil und ordentlich vorher auf dem Seitenständer abzustellen.
Mein Gebet wurde auch erhört. Der weiße Transporter, der gerade talwärts daher schoss, passierte die Umfallstelle, ohne weiteren Schaden anzurichten. Mit Stefans Hilfe richtete ich die Tracer auf und stellte sie erst mal am Straßenrand ab. Der rechte Seitenkoffer trug ein paar Schrammen davon. Die viel tieferen Schrammen in meinem Ego sind heute noch da, aber man sieht sie nicht.
Nach einer Schreckzigarette kehrten wir um, um das Foto zu schießen. Das Foto von Hollywood. In den nächsten Minuten ging der Gedanke in meinem Kopf herum, dass dieses Foto es nicht wert sei, dafür mein Mopped abzulegen. Ich wollte mir geradezu in den Allerwertesten beißen, weil ich die Idee gehabt hatte, anzuhalten und umzukehren um dieses Bild zu machen. Jetzt, im Nachhinein bin ich froh darüber. Jede Schramme am Koffer und jeder Kratzer an meinem Ego sind es wert. Egal in welchem Film ich diesen Schriftzug „Hollywood“ sehen werde, werde ich grinsen müssen und mich an diesen großartigen Urlaub mit Stefan in Irland erinnern.
Ein paar Stunden später, zwischendurch konnten wir sogar einen Kaffee zu uns nehmen, kamen wir auf einer einsamen Passstraße zu einer Gruppe von Schafen, die nicht sofort panisch vor uns Reißaus nahm. Es stürmte nicht, es regnete nicht und es gab einen ebenen kleinen Parkplatz. In Stimmung waren wir auch. Das war der Moment für das Interview.
Dazu muss ich kurz ausholen.
Stefan hatte von Beginn der Reise an vor, einen kleinen Film zu drehen. Dafür führte er in seinem Tankrucksack eine kompakte professionelle Kameraausrüstung mit sich. Immer wieder sprachen wir während unserer abendlichen Pub-Aufenthalte darüber und ich äußerte irgendwann einmal die Idee, bei diesem Film ein Interview mit einem irischen Schaf zu führen. Zur Ausführung dieser Filmidee kam es während der ganzen Tage zuvor nicht, weil es entweder zu regnerisch oder zu stürmisch war. Oder wir waren einfach nicht in Stimmung dafür. Es gab kein Drehbuch und keinen Text. Wir wollten spontan improvisieren.
Jetzt war es soweit!
Das Ergebnis könnt ihr euch anschauen, wenn ihr Stefans Facebookseite besucht oder mich um Zusendung des Youtube-links (der steht ganz o
ben) bittet.
Wir haben uns kaputt gelacht. Übrigens, nicht zum ersten mal in diesem Urlaub haben wir gelacht. Fast jeden Tag gab es Gelegenheiten, wo wir uns nur anschauen mussten, um in einen Lachflash auszubrechen. Manchmal genügte ein Wort oder ein Blick und das Lachen brach sich seine Bahn. Und das nicht nur, wenn wir im Pub saßen und irisches Bier getrunken haben.
Nach Ende der Dreharbeiten und einem kritischen Blick in die allzu grauen Wolken schlüpften wir routiniert in unsere Regenkombis und traten den Endspurt an.
RÜCKFAHRT
Der Fährhafen in Rosslare war das Ziel. Dort kamen wir viel zu früh an. Doch noch während Stefan uns einen Kaffee im weiter entfernten Hafengebäude besorgte, öffnete der Checkin. Gerade rechtzeitig kam Stefan zurück und wir durchfuhren die Ticket- und Passkontrolle. Nach einer kurzen Wartezeit im Nieselregen konnten wir an Bord. Wir verzurrten unsere Moppeds, suchten die Kabine 611 auf, machten uns frisch und gingen zur Lobby.
Dieses mal hatten wir kulinarisch vorgesorgt. In einem irischen Lidl hatten wir uns zuvor mit zwei Flaschen Cabernet Sauvignon, Käse, Schinken, Wurst und Baguette verproviantiert. Somit konnten wir mitleidig auf die Passagiere herabblicken, die auf die Bordküche angewiesen waren. Im Laufe des Abends lernten wir zwei Harleyfahrer kennen. Ben und Michael. Ben kommt aus Hamm oder Hagen, ich erinnere mich nicht wirklich, Michael aus Frankenthal in der Vorderpfalz. Der Abend war sehr kommunikativ, sehr lustig und nach der Leerung der zwei Rotweinflaschen musste noch das ein oder andere Guiness herhalten.
Am nächsten Vormittag landeten wir gegen 10 Uhr in Cherbourg. Nach dem Verlassen der Fähre hielten wir erst mal an, um unsere Regenkombis anzulegen. Das Wetter war für irische Verhältnisse normal. 13 Grad und Regen. Für europäische Festlandverhältnisse Ende Juni war es einfach beschissen. Wir waren nicht mehr in Irland. Wir befanden uns in Frankreich, das eindeutig zum europäischen Festland gehört. Außerdem fing es wieder an zu stürmen. Was neues wäre schön gewesen. 25 Grad, Sonne, mildes Lüftchen...
Zwei Tage zuvor ächzte Mitteleuropa noch unter einer Hitzewelle. Diese flüchtete wahrscheinlich vor uns.
Auf dem Weg nach Amiens, wo wir etwa auf der halben Strecke nach Hause eine Zwischenübernachtung eingeplant hatten, begleiteten uns stürmische Böen. In Stefan keimte die Befürchtung auf, dass dieser Sturm auf der Pont de Normandie, eine gigantisch hohe Brücke über die Seine in der Nähe von Honfleur , noch anhielt. Glücklicherweise wurde diese Befürchtung nicht zur Wirklichkeit.
Am späten Nachmittag erreichten wir unsere Unterkunft in der Rue des Augustin in Amiens. Die Gardienne, eine dralle mittelalterliche Haushüterin, wobei mittelalterlich auf ihr Alter bezogen ist, nicht auf die Epoche zwischen dem 9. und 14. Jahrhundert, hieß uns willkommen und zeigte uns unser Appartement für diese Nacht. Wieder gab es getrennte Schlafzimmer für Stefan und mich. Ich war nicht ungehalten über diesen Umstand.
In fußläufiger Nähe zur Unterkunft fanden wir ein Restaurant. Ein leckeres Abendessen und zwei halbe Liter Chardonnay, oder waren es drei halbe Liter?, später machten wir uns auf zur wohl verdienten Nachtruhe. Die Kathedrale von Amiens war weithin sichtbar und eine Besichtigung derselben, zumindest von außen, ließ uns einen kleinen Umweg einschlagen. Angesichts unserer Nachlässigkeit bei der Besichtigung historischer Bauten während unserer Reise, entschlossen wir uns, diesem Bauwerk einen etwas näheren Besuch abzustatten.
Das erwies sich als Fehler, was die Ausgiebigkeit unserer Nachtruhe betrifft. Zur Bereicherung unserer Erlebnisschatulle trug dieser Umweg jedoch bei.
Auf dem Gelände der Kathedrale hatte tagsüber ein Künstlermarkt stattgefunden. Der Markt war eigentlich beendet und Besucher gab es außer uns so gut wie keine mehr. Doch die Künstler waren noch da. Eine Bierbude hatte auch noch geöffnet. Diese Künstler feierten gerade den Erfolg ihrer Veranstaltung. Stefan und ich stehen dem Feiern zwar grundsätzlich kritisch gegenüber, aber wenn das Feiern Spaß macht, dann lassen wir uns gerne mitreißen. Wenn sonst keiner für Spaß sorgt, dann machen wir das eben.
So geschah es, dass unsere Nachtruhe deutlich später, als beabsichtigt, begann. Es war einfach nur ein wunderschöner Abschlussabend unserer Reise. Diese Künstler, phantastisch geschminkt und verkleidet, ließen sich gern auf das ein oder andere Gespräch mit uns ein. Wenn unser Französisch bei der Konversation nicht ausreichte, halfen uns und den Künstlern englische Sprachkenntnisse bei der gegenseitigen Verständigung. Viel zu schnell war der Abend vorbei und wir legten uns zur Ruhe.
Der Blick in den Himmel am nächsten Morgen verhieß nicht unbedingt strahlenden Sonnenschein. Angesichts der schwarz-grauen Wolken in unserer Fahrtrichtung schlüpften wir in unsere Regenkombis. Wir waren noch nicht fertig mit dem Verzurren des Gepäcks, als die ersten Tropfen auf uns nieder fielen.
Doch wer sind wir, dass wir uns unsere Laune durch ein paar Regentropfen verderben lassen? Gut gelaunt fuhren wir los.
Nach wenigen Kilometern, -im Süden war der Himmel blau und fast wolkenlos, wir wären vielleicht besser über Paris gefahren, doch wir fuhren direkt nach Osten-, öffneten sich die Himmelsschleusen zu einem Wolkenbruch. Dieser dauerte nicht lange, vielleicht 10 oder 15 Minuten, aber es reichte, um unsere Laune auf einen Tiefpunkt absinken zu lassen, der sehr tief liegt. Eher noch tiefer.
Als das Schlimmste vorbei war, steuerten wir erst mal einen Parkplatz am Rand der Autobahn an, um unsere Visiere auch von innen zu trocknen und unsere Stimmung wiederzubeleben. Nach einer Zigarette traten wir die Weiterfahrt mit gemischten Gefühlen an. Doch mit jedem Kilometer klarte der Himmel vor uns auf und wir erreichten zuerst die belgische, dann die deutsche Grenze. Diese Grenzen erkennt man nur noch an den Hinweisschildern mit welchen Geschwindigkeiten im jeweiligen Land gefahren werden darf. Kontrollen oder Schlagbäume gab es nicht.
Unsere Reise näherte sich dem Ende. An der A4, am Rastplatz Frechen hielten wir ein letztes mal gemeinsam an. Wir entledigten uns unserer mittlerweile trockenen Regenkombis bei 25 Grad und Sonnenschein. Bei einer letzten gemeinsamen Zigarette ließen wir die Reise noch einmal Revue passieren. Mein Stefan und ich sind beste Freunde. Seit langer Zeit. Es gab früher mal Momente des Schweigens in unserer Freundschaftsbeziehung. Es gab Momente des Zweifels am anderen bei beiden von uns. Doch die Zeit hat gezeigt, dass sie, die Zeit, uns nichts anhaben kann.
Bereits vor unserer diesjährigen Reise standen wir uns sehr nahe. So nahe, dass kein Blatt Papier mehr zwischen uns passt, wie Stefan einmal sagte. Doch in diesem Urlaub sind wir uns entgegen aller Erwartung noch näher gekommen. Wir haben noch mehr gelernt, die Ecken und Kanten des Freundes zu akzeptieren und zu tolerieren. Das Blatt Papier muss schon sehr dünn sein, um noch zwischen uns zu passen.
Ich danke den LeserInnen für ihre Geduld und ihre Aufmerksamkeit bis hierhin gelesen zu haben. Doch viel mehr danke ich Stefan. Dafür, dass er mein Freund ist.
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