Ich bin auf dem Land aufgewachsen und es war damals (wir reden von vor ca. 29 Jahren) wie heute schon so: wenn man kein Auto oder keinen Führerschein dafür besitzt, ist die Mobilität sehr eingeschränkt. Und mit 15 wollte ich mich nicht mehr nur im Radius meines Dorfes bzw. der angrenzenden Dörfer bewegen. Zumal meine Schule ja auch in Olpe war und da schon mehr los war als in meinem Dorf.
Unter anderem gab es da auch die OT (ausgeschrieben „Offene Tür), ein Jugendtreff, der mir damals eine lieb gewonnene Anlaufstelle war.
Dort war auch meine Freundin Silke unterwegs, die ein Jahr älter war als ich.
Und Silke hatte etwas, das ich damals zum einen weder machen durfte (des Alters wegen) noch konnte (des Geldes wegen): einen 80er-Führerschein. Fragt mich nicht, was das damals für eine Führerscheinklasse war, zu dem Zeitpunkt in meinem Leben und wegen der schieren Unerreichbarkeit des Lappens haben mich die korrekten Bezeichnungen damals nicht interessiert.
Silke war mit dem Führerschein und ihrer Yamaha DT80 wesentlich mobiler als ich, zumindest solange sie Geld für Sprit hatte, und hat mich damals auch öfter mal besucht. Leider konnte ich die Besuche zu Anfang nicht erwidern, denn um in ihr Dorf zu kommen, hätte ich eine halbe Weltreise mit dem Bus zurücklegen müssen, die mich obendrein auch noch Geld gekostet hätte, denn meine Fahrkarte damals galt exakt von meinem Ort bis Olpe. Und von da ging es nochmal eine halbe Stunde oder länger per Bus zu ihr.
Das war nicht so wie heute, wo die Kids mit Schülerticket ein sehr großes Gebiet bereisen können.
So entstand die Idee, sie könne mich ja auch mal mitnehmen, damit ich sie auch mal besuchen kann, um zum Beispiel am Wochenende mal bei ihr zu übernachten. Allerdings mussten wir davon noch meine Mutter und meine Oma (beide ohne Führerschein und Auto) überzeugen.
Und das war, glaubt man es oder nicht, gar nicht so schwer wie wir es am Anfang angenommen haben. Meine Oma zeigte sich sogar spendabel und ging mit mir meinen ersten Integralhelm von Nolan kaufen und sponserte zudem noch einen Nierengurt.
Das war es an Ausrüstung. Es galt ja auch nur eine Helmpflicht und ich weiß nicht, ob man sich damals einfach weniger Gedanken um die möglichen Folgen eines Unfalls gemacht hat oder es einfach nicht üblich war, mehr Schutzausrüstung zu tragen – mehr als Helm und Nierengurt hatte ich nicht.
Und bei Silke sah das nicht anders aus, wobei ich echt nicht mehr weiß, ob sie nicht noch Handschuhe getragen hat.
Das Ereignis, um das es hier gehen soll, fand auf einer dieser Fahrten zu Silke statt. Wir waren in Olpe und wollten zu ihr. Es war ein schöner Sommertag, also trugen wir beide, soweit ich mich erinnern kann, T-Shirts, kurze Hosen, geschlossene Schuhe, Helm und Nierengurt.
Wir standen an einer roten Linksabbiegerampel und als diese grün wurde, würgte Silke ihre als bockig bekannte DT80 ab. Man konnte ihr die Hektik schnell anmerken. Sie hatte den Führerschein noch nicht so lange und war durch die Bockigkeit ihrer Maschine auch nicht die Sicherste im Umgang mit den Macken ihres fahrbaren Untersatzes. Was an diesem Tag echt keine gute Mischung war.
Ich sollte zunächst sitzen bleiben, während sie wieder und wieder erfolglos versuchte, die Maschine per Kickstarter ans Laufen zu bringen.
Als der Querverkehr jedoch grün bekam und wir zu einem Hindernis auf der Kreuzung wurden, was uns durch ein Hupkonzert verdeutlicht wurde, sagte sie, ich solle absteigen.
Ihr Stress war inzwischen im vollen Umfang auch bei mir angekommen und so nahm ich beide Füße gleichzeitig von den Rasten und streckte meine Beine gen Boden um im Bruchteil einer Sekunde zu merken, dass das für mein rechtes Bein eine echt bescheidene Idee gewesen war, denn der Auspuff machte sich sehr heiß an meiner Wade bemerkbar.
Ich weiß nicht mehr genau, wie ich von der Maschine herunter und wir von der Straße weg gekommen sind, es ging aber ziemlich schnell.
Ich weiß nur, dass wir samt Motorrad auf einmal schräg gegenüber unseres Startpunktes auf dem Bürgersteig standen und Silke mich besorgt fragte, ob alles in Ordnung wäre. Erst da realisierte ich den fast kreisrunden und recht großen Brandfleck an der Innenseite meiner rechten Wade so richtig. Zum Glück war die Verbrennung nur oberflächlich und so beschloss ich, dass wir die Fahrt fortsetzen könnten, sollte die Yamaha davon zu überzeugen sein, wieder anzuspringen. Ich hätte in dem Moment sowieso nicht gewusst, wohin mit der Verletzung. Auf die Idee, mit so etwas die Notaufnahme eines Krankenhauses zu besuchen, wäre ich in dem Alter nicht gekommen.
Und ein bis zwei (oder doch zehn?) tiefe Atemzüge später nahm Silke wieder Platz und kickte den Motor erfolgreich zum Leben und ich konnte wieder aufsteigen.
Meine Wade hat keine bleibenden Schäden und auch keine sichtbaren Narben zurück behalten von der kurzen und heißen Begegnung mit dem Auspuff, aber wenn ich heute so daran denke, dann bestärkt es mich immer wieder darin, unter keinen Umständen mehr Teile meiner Schutzausrüstung wegzulassen. Auch nicht, wenn draußen heiß ist. Da lasse ich dann lieber gleich die ganze Tour sein.
Meiner Mutter und meiner Oma mache ich rückblickend gesehen keine Vorwürfe. Sie wussten es nicht besser und haben das getan, was getan werden musste und da Silke genauso wie ich auch nur mit Helm und Nierengurt gefahren ist, gab es ja auch keinen Vergleich, an dem die beiden hätten erkennen können, dass es mehr Möglichkeiten gibt.
Jetzt, wo ich selber Mutter bin, muss ich allerdings sagen, dass ich meinen Sohn nicht ohne komplette Ausrüstung auf ein Motorrad steigen lassen werde. Ob nun als Sozius oder als Fahrer. Da kann einfach zu schnell zu viel passieren. Das weiß er auch und er hat es – Stand jetzt - auch verstanden.
Silke und die bockige Yamaha DT80 waren es aber, die damals den Grundstein für meinen Spaß am Motorradfahren gelegt haben. Und auch wenn es Jahrzehnte gedauert hat, diesen Spaß wieder auszuleben und eventuell auch mal den eigenen Führerschein in Angriff zu nehmen, bin ich umso glücklicher, dass ich schon so früh erleben durfte, wie es ist, als Sozia mitzufahren.
Kommentare 6