Berge und Kurven so weit im Norden? Wer durch die Norddeutsche Tiefebene fährt, wird die Brücke über den Nord-Ostseekanal als die höchste Erhebung weit und breit bezeichnen und die Autobahnabfahrten müssen als Kurvenersatz herhalten. Niemand zweifelt in diesem Moment daran, dass es so weitergeht bis Ultima Thule. Wir alle kennen Berichte über unendliche Wälder mit ewig lange Geraden, die uns bei Regen auf dem Weg zum Nordkap begleiten. Nein, das ist kein Motorradland, dort fährt nur hin wer das Abenteuer sucht. Außerdem viel zu weit, viel zu teuer und dann auch nur Tempo 80. Nichts für mich, werden viele von euch sagen und ja, da ist durchaus was dran, wenn man die unendliche Weite des Landes kennenlernen will.
Doch muss es immer Nordkap sein? Nur 400 Kilometer hinter der deutschen Grenze finden sich fruchtbare Fjorde, hohe Berge, herrliche Passstrecken und eine Landschaft wie aus dem Bilderbuch. Südnorwegen, eine Gegend, die mich immer wieder magisch anzieht. Kurvige Motorradstrecken ohne Ende. Verglichen mit den Alpen ist hier praktisch nichts los und die 950 km bis zur Fähre sind für mich auch nicht weiter als eine Fahrt ins Südtirol.
Norwegen ohne Regen? Es ist Mitte August und ich schaue ungläubig auf die Wetterkarte. Das bei uns seit Wochen herrschende Hoch mit purem Sonnenschein zieht weiter nach Norden. Dort zeigt sich bis weit in den September hinein kein Regentröpfchen. Das muss ausgenutzt werden. Schnell ist die Victory beladen, am nächsten Morgen geht es in aller Frühe los. Ich komme gut voran und erreiche schon am späten Nachmittag Hirtshals. Mit einer Dose Tuborg setze ich mich etwas außerhalb an den Strand von Tornby. Der Campingplatz gleich nebenan ist eine Empfehlung wert.
Gewitter und Erdrutsche. Norwegen empfängt mich entgegen aller Wettervorhersagen mit Regen. Allerdings kein Dauerregen sondern ein heftiges Gewitter. So heftig, dass viele Straßen überflutet sind und die Böschungen abrutschen. Ich flüchte mich in ein Hotel, wo ich zusammen mit zwei Schweizer Indian Fahrern einen netten Abend habe.
Über den Tronåsen zum Lysevegn. Zusammen mit den Schweizern geht es am nächsten Morgen hoch auf den Tronåsen, einer schmalen und extrem steilen Panoramastraße. Nicht ganz einfach für unsere schwer beladenen Motorräder, denn bis auf eine schmale Durchfahrt hat eine Gerölllawine die Straße verschüttet.
Hinter der sehenswerten, 180 Jahre alten Brücke am Ende der Straße, geht es zum nächsten Kurven-Highlight. Schon die Anfahrt ist beeindruckend und erst der Lysevegn! Mit seinen 27 Haarnadelkurven überwindet er einen Höhenunterschied von fast 1.000 Metern.
Weiter geht es nach Røldal. Die Straße führt durch eine abwechslungsreiche Gegend mit traditioneller Architektur. Im Ort lohnt sich ein Besuch der direkt neben dem Campingplatz gelegenen Stabkirche
Nächstes Ziel ist der Sognefjord. Das Nebeneinander von hohen Bergen, Gletschern und fruchtbaren Obstplantagen erinnert ein wenig an das Südtirol. Die kontrastreichen Farben kommen heute bei Sonnenschein und blauem Himmel so recht zur Geltung. Wer noch nie in Norwegen war, vermutet dort wahrscheinlich arktische Bedingungen. Obstanbau mit Erdbeeren, Äpfeln, Kirschen und Pflaumen werden ihn überraschen. Dieses Mal konnte aber auch ich meinen Augen nicht trauen: Ein Weinberg!!!
Die Küstenstraße von Hella nach Sogndal ist ein Motorrad-Traum. Links die lichten Kiefernwälder mit ihrem typischen Duft, rechts der weite Fjord und im Hintergrund die vergletscherten Berge. Ein Volltreffer hier direkt am Fjord eine Hütte zu finden.
Ich finde mein Abendessen in Jotunheimen. Am Ende des Sognefjord geht es hinauf ins Fjell. Eine herrliche Serpentinenstrecke, diesmal sogar mit 1.200 Metern Höhenunterschied, führt mich nach Jotunheimen, dem Gebiet mit den höchsten Bergen Norwegens. Auf den ersten Blick gibt es hier kaum Vegetation. Felsen und Gletscher dominieren das Bild. Und doch finden sich Beeren und Pilze im Überfluss. Blaubeeren, Krähenbeeren und Preiselbeeren wachsen überall. Kaum dass man eine winzige, buschartige Birke findet, stehen dort auch Birkenpilze. Nach wenigen Minuten ist mein Tankrucksack schon voll mit dem Abendessen.
Hochgebirge, Wolken und Beleuchtung sind beeindruckend.
Lom ist ein nettes Örtchen. Ein modernes Gebirgs- und Skiressort gepaart mit traditioneller Holzbauweise.
Nach kurzer Pause geht es weiter Richtung Geiranger. An der Aussichtsplattform hoch oben über dem Fjord war ich schon öfter und fahre einfach weiter. Wer noch nicht dort war, sollte sich den Blick nicht entgehen lassen. In spektakulären Kurven geht es hinab zum Fjord und nicht minder spektakulär auf der anderen Seite wieder hoch. Erstaunlich, was sich mit der dicken Victory so machen lässt.
An dieser Stelle ein Tipp: studiert die Landkarte! Überall wurden und werden Tunnel gebaut. So auch auf der Weiterfahrt vom Geiranger Fjord nach Norden. Praktisch für die Einheimischen, aber eigentlich nicht das, was wir möchten. Es sei denn, es regnet Also versucht immer zu schauen, ob auch die alte Passstraße noch existiert. Oft werden sie sogar als Turistvegen ausgeschildert.
Der Trollstiegen ist eine der bekanntesten Passstrecken Norwegens. Keine Frage ein technisches Meisterwerk und bei wenig Verkehr auch schön zu fahren, aber irgendwie nicht mein Favorit. Sein Name scheint eine magische Anziehungskraft auf Busse und Wohnmobile zu haben . Deshalb gibt's auch keine Bilder. Kurz vor Åndalsnes schlage ich mein Zelt auf. Morgen geht es ans offene Meer
Heute mal keine Kurven. Die Atlantikstraße besticht durch das Gefühl von Weite und das faszinierende Licht des Nordens. Sie ist dieses Mal der nördlichste Punkt meiner Reise, liegt aber ziemlich abseits der geplanten Route.
Es ist noch früh am Tag. Deshalb versuche ich auf der gut ausgebauten Schnellstraße nach Trondheim heute noch einige Kilometer zurück in die Berge zu machen. Doch da habe ich die Rechnung ohne das Atlantik-Wetter gemacht. Es wird kühler und Wolken ziehen auf. Nicht lange und es beginnt zu regnen. Zum Glück finde ich schnell eine Unterkunft.
Der Herbst kündigt sich an. Am nächsten Morgen ist es kalt und nieselt. Auf den Bergen erkennt man einen ersten Hauch von Schnee. Glücklicherweise kündigt der Wetterbericht ab Mittag Sonnenschein an. So soll es auch die nächsten Tage bleiben, nur warm wird es nicht mehr. Als ich losfahre, verschwinden die Wolken so schnell, wie sie gekommen sind. Nochmal Glück gehabt
Ich habe mich verfahren und bin auf der stark befahrenen E6 gelandet. Das kommt davon, wenn man blind dem Navi vertraut und von gestern Nachmittag noch "schnellste Strecke" eingestellt hat. Naja, stark befahren ist relativ. Kurz hinter Trondheim lässt der Verkehr nach und ich cruise gemütlich durch die schöne Landschaft. Durch den späten Aufbruch heute Mittag, komme ich heute nicht besonders weit, aber im etwas unpersönlichen Wintersportzentrum Oppdal zu bleiben, habe ich auch keine Lust. Also folge ich noch eine Weile dem Sunndalsvegen durch eine wilde Gebirgslandschaft und finde schließlich in der Dämmerung nicht nur meine Steinpilze zum Abendessen, sondern endlich auch einen wunderschönen Campingplatz.
Die Rückfahrt beginnt. Der nächste Morgen empfängt mich mit Sonnenschein. Die heutige Route führt zunächst an einem ruhigen Fjord vorbei zum Trollstigen. Endlich komme ich einmal dazu, diesen auch bergauf zu fahren. Da es noch recht früh am Tag ist, auch ganz ohne Verkehr. Einfach toll!
Ich merke kaum, dass ich die gleiche Straße zurück fahre, die ich gekommen bin. Die Landschaft schaut in dieser Richtung ganz anders aus. Irgendwann überhole ich eine Africa Twin, weil der Fahrer sich doch gar zu sehr an Tempo 80 hält. Kaum bin ich vorbei, scheint ihm dies auch aufzufallen und eine fröhliche Hatz beginnt. So machen die Serpentinen hinunter zum Geiranger Fjord und an der anderen Seite hoch Spaß Oben trennen sich unsere Wege. Ich mache mich auf zum Gamle Strynevegen, einer auch mit der Victory gut zu fahrbaren Schotterstrecke durch ein weites, wildes Hochgebirgstal. Die Strecke ist eigentlich ein Muss auf jeder meiner Norwegentouren. Wieder unten im Tal liegt ein schöner Campingplatz. Hier treffe ich den französischen Africa Twin Fahrer wieder. Wird ein netter Abend, nicht zuletzt weil wir ein paar Kilometer zuvor unsere Biervorräte auffüllen konnten.
Am nächsten Morgen habe ich mir eine kleine Wanderung zum Brikdals-Gletscher vorgenommen. Der Weg dorthin führt durch eine wunderschöne Landschaft mit gewaltigen, vergletscherten Bergen.
Als ich am Wanderparkplatz ankomme, empfängt mich Menschengewimmel. Unten am Fjord ist ein Kreuzfahrer eingelaufen. Das wird nichts mit einer ruhigen Wanderung. Also kehre ich wieder um und freue mich über das Nebeneinander von Wasser und Bergen bei einer ständig wechselnden Beleuchtung.
Unendlich viele Kurven und Pässe begleiten mich auf dem weiteren Weg. Mit den vielen Serpentinen ist der Gaularfjell-Pass sicherlich der spektakulärste. Als ich oben am Aussichtspunkt stehe, höre ich in der Ferne ein Grollen und Quietschen. Ein Blick hinunter auf die Serpentinen löst das Rätsel. Bestimmt 50 PS und Hubraum-starke, überwiegend amerikanische Sportwagen kommen driftend um die Kurven geflogen. Oben angekommen lassen sie ihre fetten V8 natürlich weiter brummeln. Ich kann es mir nicht verkneifen, vorm Starten der Victory die Klappen am Auspuff manuell zu öffnen und ernte freudiges Grinsen.
Heute Abend ist es richtig herbstlich. Die Temperaturen sinken schnell. Alles ist feucht vom Tau. Argumente genug, mir eine gemütliche Hütte zu gönnen. Oberhalb von Vik i Sogne werde ich fündig. Sehenswert ist übrigens die Hopperstad-Stabkirche unten im Ort. Eine der schönsten, die ich bislang kennengelernt habe.
Mir rennt die Zeit davon. Nächste Woche habe ich schon wieder Termine. Schweren Herzens entschließe ich mich, die schnellste Route Richtung Oslo zu wählen und dort auf die Autobahn zu gehen. Die Strecke vom Aurlandsfjord nach Geilo führt noch einmal über Bergstrecken vom Feinsten. Dann wird die Landschaft allmählich lieblicher und die Oslofjord kommt in Sicht. Starkregen zwingt mich schon recht früh eine Unterkunft zu suchen. Am nächsten Morgen nehme ich die Fähre von Horten nach Moss. Dann beginnt die lange, 2-tägige Autobahnetappe durch Schweden und Dänemark zurück nach Hause.
Rückblick. Es war eine meiner schönsten Norwegentouren überhaupt. Das lag einerseits am guten Wetter und der einsetzenden Herbststimmung, andererseits aber auch an der ruhigen Nachsaison. Sicherlich hat die Wahl des Motorrads dazu beigetragen. Mit so einem Cruiser fährt man doch deutlich ruhiger als mit einer sportlichen Maschine und Tempo 80 ist plötzlich keine Tortur mehr, sondern ein angenehmes Reisetempo. Es lag aber auch daran, dass ich mich auf Südnorwegen beschränkt habe. Habt Ihr Lust bekommen das nachzumachen? Tut es einfach.
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