Das Piemont, lat. „pedes montium“ - zu Füßen der Berge - bietet fahrerische, landschaftliche und kulinarische Genüsse in einer Region, die für ihre weißen Trüffel, „Mon Cheri“-Kirschen und ihre Weine bekannt ist. Die Langhe, die ‚Toskana Piemonts‘, ist dabei ebenso reizvoll wie die abgelegenen und ursprünglichen Täler der italienischen Westalpen.
On the road to Italy
Es ist ein Samstag im September. Noch 100 km bis zum Zwischenziel in Beaune. Entspannt rolle ich in Frankreich auf der A31 und ziehe meine Honda Silver Wing hinter mir auf dem Trailer südwärts. Plötzlich ein metallisch schleifendes, „ungesundes“ Geräusch hinter mir. Von 100 auf 0 Km/h in gefühlten 3 Sekunden. Der Rundgang auf dem Seitenstreifen gibt Gewissheit - vom linken Reifen des Trailers sind nur noch Fetzen übrig. Wer sich jemals über eine unverständliche Durchsage am Kölner Hauptbahnhof beschwert hat, wird dies niemals wieder tun, wenn er mal an einer Notrufsäule an einer französischen Autobahn bei 35 Grad gestanden hat. Meine französische Gesprächspartnerin hätte auch chinesisch sprechen können, es war (fast) nichts zu verstehen. Dennoch dauert es gefühlt keine 10 Minuten, dann ist die Straßenwacht vor Ort. Montag oder Dienstag sei mit einer Reparatur zu rechnen; dann sehe ich meinen Anhänger samt Honda Silver Wing auf der Laderampe des Werkstattwagens am Horizont entschwinden.
Wir müssen also etwas umplanen. Glücklicherweise ist unser Zimmer in Beaune noch 2 Nächte länger frei. Email nach Italien, dass wir erst später kommen können. Am Montag sind tatsächlich 2 neue Reifen da, dafür bin ich 300 € ärmer. Beaune ist zwar eine sehenswerte Stadt, dennoch sind wir froh, als es am nächsten Morgen endlich weitergeht. Noch einmal werden wir zur Kasse gebeten. Die 12.870 m lange Röhre des Fréjus-Straßentunnels, welche die Pointe de Fréjus (2.932 m) im Mont-Cenis-Massiv unterquert und Modane im Hochsavoyen (Frankreich) mit Bardonecchia im Piemont (Italien) verbindet, macht uns 51 € (!) ärmer; da muss man schon schlucken. Am späten Nachmittag erreichen wir dann ohne weitere Zwischenfälle unsere Unterkunft, das Agriturismo „Locanda dei Cacciatori“ in Somano.
Colle Fauniera, Colle dei Morti oder Col Cuneo?
Wir rollen durch die Ebenen des nördlichen Piemont. Das Land um die Provinzhauptstadt Cuneo ist flach und unspektakulär. Spannung erzeugen lediglich die in schöner Regelmäßigkeit an den Ortsein- und Ortsausgängen stehenden, orangefarbenen Blitzer.
Es zieht uns zum „Colle Fauniera“, einen der spannendsten und schönsten Pässe in Norditalien, der aber dennoch (noch) als Geheimtipp gilt.
Haselnüsse und Wein
Vor uns sollte sich eigentlich das Bergpanorama der Seealpen erheben, doch die Berge der „Cottischen Alpen“ verstecken sich in einer dichten Wolkenwand. Dann plötzlich, als ob ein Hüne alle Hügel ins Landesinnere geschoben hätte, wachsen Erhebungen aus der Erde empor, eine nach der anderen. In Demonte im Tal des Flusses Stura zweigt das Seitental Vallone dell’Arma ab. Hier beginnt der Anstieg zum Colle Fauniera, auch Colle dei Morti oder - um die Verwirrung komplett zu machen - auch als Col Cuneo bezeichnet. Der Fauniera ist kein Übergang mit klangvollem Namen, kann es aber mit den berühmteren französischen Nachbarn wie dem Col de la Bonette, dem Col de Vars oder dem Col de Cayolle locker aufnehmen.
Zunächst schlängelt sich das Sträßchen relativ gemütlich den Berg hoch. Vereinzelte Häuser, die still und leer erscheinen, stehen am Wegesrand. Der Verkehr beschränkt sich auf einen gelegentlich entgegenkommenden Fiat 500. Wir gewinnen an Höhe, erreichen die Wolken und dann umgibt uns eine trübe Nebelsuppe, die uns die nächsten Kilometer begleiten wird. Ich fahre fast mehr nach Gehör als auf Sicht. Kein Wind, kein Mensch, keine Fahrzeuge; nichts, außer ein paar scheuen Murmeltieren. Das rissige, nur von unzähligen Teerflicken zusammengehaltene Sträßchen ist streckenweise schmal, sehr (!) schmal, was ich auch am zupackenden Griff der besten Sozia der Welt merke. Der Asphalt ist rau wie eine Kuhzunge. Gelegentlich liegen Felsbrocken auf der Fahrbahn. Der piemontesische Riese „Colle Fauniera (Colle dei Morti)“ genießt den etwas zweifelhaften Ruf, dass sich seine Passstraße in Auflösung befände. Dem würde ich - zumindest was die Südauffahrt von Demonte aus betrifft - nicht widersprechen wollen. Die Strecke ist dennoch sowohl fahrerisch als auch punkto Landschaft jeden Kilometer wert! Mit jedem Kilometer werden die Hänge steiler, die Felsen schroffer. Kurve um Kurve zieht es die 600er Silver Wing dem Pass entgegen. Wir nähern uns stetig dem 1.840 m hohen „Colle di Caccia“, der als solcher allerdings leicht zu verpassen, da im Grunde ein Scheitel kaum vorhanden ist.
Je höher wir kommen, umso mehr weichen die Bäume zurück und mit ihnen der Nebel. Sonne durchbricht den Dunst. Der Blick ist nun frei auf kantige, von kleinen Wolken umspielte Berggipfel, vereinzelte Schotterhänge und braun-grüne Almen. Das Teerband führt uns in ein Hochtal mit schönen, gut einsehbaren Kurven. Am „Colle Valcavera“ (2.421 m), von dem in Westrichtung die bis zum „Colle del Preit“ (2.083 m) führende „Maira-Stura-Kammstraße“ abzweigt, lasse ich den Motor der Siwi verstummen. Tiefe Einsamkeit umgibt uns hier oben und eine wunderbare Natur. Hier könnte man ewig verweilen, doch „der Berg ruft“. Wenige 100 m weiter kommt uns bergseitig ein Jeep entgegen. Meine Sozia entscheidet sich spontan abzusitzen und ein Stück zu Fuß zu gehen, während die Siwi im Schneckentempo daran vorbei kriecht. Tipp: nie in den Abgrund schauen! Kurz darauf stehen wir mit unserem Scooter auf dem Scheitel des „Colle Fauniera“ (2.481 m) und lassen unsere Blicke in eine unendliche Weite schweifen. Im Tal weiße Wolkenbänke. Ein echtes Traumpanorama.
Auf der Passhöhe steht sogar ein Denkmal für den 2004 verstorbenen italienischen Radrennfahrer Marco Pantani; eine lebensgroße Statue, die „Il Pirata“ auf seinem Rad darstellt.
Wir überwinden den „Colle del Vallonetto“ (2.447 m) und genießen am Rifugio Fauniera in der Herbstsonne ein leckeres Schinkenbrot.
Auf der Abfahrt zum „Colle d’Esischie“ (2.370 m), der in einer markanten Einkerbung zwischen dem Rocce Ciarmetta (2.553 m) und dem Monte Pelvo (2.555 m) liegt, öffnet sich uns ein herrlicher Ausblick westwärts in den Talkessel des Marmoratals und die umgebenden Berge (Monte la Bianca 2.745 m, Becco Grande (2.775 m).
Wo kann man schon mal ein Quartett solcher Passgiganten auf einen Streich erleben - noch dazu in solch einer grandiosen Landschaft?
Haselnüsse und Wein
Unsere Unterkunft ist umgeben von Haselnüssen, besser gesagt „Haselnussplantagen“, durch die sich die SP56 in weiten Schwüngen zieht. Entspanntes Dahingleiten ist angesagt. Je weiter wir nach Norden kommen, umso mehr weichen die Haselnusshaine dunkelgrünen Weinbergen, welche sich bis zum Horizont erstrecken. Im Herzen der Langhe, am Ufer des Tanaro, liegt das 700 Seelen Dorf Barbaresco (Barbaren-Dorf). Zeit für einen Cafè Crema. Direkt am Dorfeingang lassen wir uns in einem kleinen Cafe nieder. „Due Cafè Crema, per favore“. Ich staune nicht schlecht, als ich eine Tasse mit einer Art kaltem Pudding mit Kaffeegeschmack bekomme. Eigentlich hatte ich mir etwas Flüssigeres vorgestellt, aber ich muss zugeben, es schmeckt nicht einmal schlecht und ist - wie sich später herausstellt - eine italienische Spezialität für heiße Tage (Crema al Cafè). Ein kleiner „Höhepunkt“ im wahrsten Sinne des Wortes steht mir noch bevor. Der „Torre di Barbaresco“, von dem ich in 30 m Höhe einen atemberaubenden Panoramablick auf das UNESCO Weltkulturerbe, die Weinregion „Langhe-Monferrato“, genieße. Unter mir zieht der Tanaro durch das Tal und in der Ferne thronen malerische Örtchen auf den Hügeln.
Der Motor meiner Silver Wing erwacht mit einem sonoren Brummen zu neuem Leben. Es treibt uns weiter.
Sanft geschwungene Weinberge mit schwer tragenden Reben, auf Hügeln thronende Burgruinen und (etwas) schneebedeckte Alpengipfel im Hintergrund - das Piemont gleicht hier einem Paradies auf Erden. Fast könnte man meinen, die Zeit stehe hier still, zwischen den malerischen Hügeln der „Bassa Langa“, wo der Wein angebaut wird, welcher diese Region so berühmt gemacht hat - „Barolo“. Da ist ein Besuch des gleichnamigen Örtchens natürlich ein Muss. Mit unserer Silver Wing haben wir in dem mittelalterlichen Ort keine Parkprobleme. Ein Bummel durch die schmalen, verträumten Gassen - wo gefühlt jeder 2. Laden eine Vinothek ist -, auf der Terrasse einer kleinen Bar eine „Tagliere di salumi e formaggi“ (Wurst- u. Käseplatte), dazu ein Glas dunkelroten Barolo (nicht weitersagen!), was will man mehr?!
Ein kleiner Zwischenstopp in Monforte d’Alba - „Due espressi per favore“ - dann lasse ich einige Zeit die Gashand spielen, um schließlich am „Cimitero Comunale“, dem Friedhof von Dogliani, erneut abzubremsen. Der monumentale, neugotische Eingang aus dunkelroten Ziegelsteinen beeindruckt mit seinen schlanken, spitz auslaufenden Türmchen, die zum Himmel emporstreben. Dem Erbauer der Toranlage brachten diese den Spitznamen „Gaudí der Langhe“ ein.
Der Motor meiner Siwi hat noch nicht wieder seine Betriebstemperatur erreicht, da liegt vor uns schon die mächtige Kuppel der Pfarrkirche „Santi Quirico und Paolo“. Auf breit ausgebauter Strasse geht es von der Oberstadt Dogliani Castello hinunter zur Unterstadt Dogliani Borgo. (Michele Ferrero, der Vater des Nutella, wurde hier geboren) Ein Stück entlang des Flusses Rea, dann verlässt das Asphaltband den Ort. In schwungvollen, weit gezogenen Kurven ziehen wir erneut die Hügel hinauf. Meine 20 Jahre alte 600er Honda Silver Wing ist ganz in ihrem Element. Hinter Somano links abgebogen und wir sind zurück in der „Locanda dei Cacciatori“, wo wir von unseren Gastgebern Giusi und Paolo schon erwartet werden. Bei einer „Polenta con funghi e formaggio“ - und natürlich einem guten Glas Wein - lassen wir den Tag gemütlich ausklingen.
Pallazzi, Gotik und barocke Pracht - Cuneo, Mondovì und Vicoforte
Die Sonne scheint, kleine Wölkchen schweben am azurblauen Himmel, als ich vorsichtig die geschotterte Abfahrt zur Staatsstrasse hinunterrolle. Wenige Kurven und Kehren später passieren wir Dogliani, Carrù und das kleine, in der Ebene gelegene Morozzo, eines der ältesten Dörfer der Gegend und bekannt für die Zucht von Kapaunen. Wir kommen zügig voran (bis auf die Blitzer). Es herrscht wenig Verkehr, der jedoch zunehmend dichter wird, als wir uns der Provinzhauptstadt nähern. Cuneo liegt in einem Bogen der südwestlichen Alpenkette, umgeben von Monte Viso (3.841 m), Rocca dell’Abisso (2.755 m), Argentera (3.297 m) und Bisalta (2.231 m).
Es ist viel los rund um die riesige Piazza Galimberti im Zentrum von Cuneo. Direkt an der Piazza ist noch ein Motorradparkplatz für meine Siwi frei. Perfekt!
Es herrscht geschäftiges Treiben unter den schier endlosen Arkadengängen. Geschäftsleute eilen zu ihren Terminen, Einkäufe werden getätigt, Touristen schlendern vorbei oder genießen im Schatten der Arkaden in einem der zahlreichen Cafes einen Espresso. In voller Motoradkluft bummeln auch wir an den kleinen Geschäften entlang bis sich plötzlich der kleine Hunger meldet. Ein schmaler Durchgang in den Arkaden erregt meine Aufmerksamkeit. Davor ein Schild „Casa del Parmigianno“. Dahinter ein winziger Innenhof mit 3 Tischen, wovon bereits einer von Bauarbeitern besetzt ist (Palaver, Palaver…) und ein kleines Geschäft, welches örtliche Produkte anbietet. Überaus freundlich werden wir bedient. Schinken, verschiedener Käse, Oliven, etwas Wein und Brot. (Fast) Ursprüngliches Italien.
Die Stadt „Mondovì“ ist vielleicht nicht in den üblichen Touristenrouten enthalten, aber dennoch ein Ort, der auf jeden Fall einen Besuch wert ist. Von den alten Markthallen geht es an der „Fontana dei Bambini“ vorbei in die Altstadt (Centro storico di Breo), mit ihren Laubengängen und der Piazza San Pietro. „La Funikulare“, eine Drahtseilbahn, bringt uns in die Oberstadt „Mondovì Piazza“ und und zur alten Piazza Maggiore. Am „Belvedere“ mit seinem alten Turm, bietet sich ein wunderbarer Ausblick auf den piemontesischen Alpenbogen: es lohnt sich!
Rund 5 km von Mondovì entfernt erhebt sich die mächtige Wallfahrtskirche „Regina Montis Regalis“ („Santuario di Vicoforte“) mit der größten gemauerten elliptischen Kuppel der Welt. Man kann die beeindruckende Basilika auch mit Helm und Klettergurt zu erkunden, indem man durch die Stollen einer ehemaligen Baustelle und zwischen der gemauerten Kuppel und ihrem Kupferdach 75 Meter nach oben steigt. Na ja, einen Helm hätten wir zwar dabei, aber fester Boden ist uns dann doch lieber.
Auf der Rückfahrt nach Somano zieht sich der Himmel zu. Unheil verkündende, schwarze Wolken verdunkeln nun die Sonne. Auf der gut ausgebauten Provinzstrasse gibt die Silver Wing alles. (Zum Glück werden die Blitzer i.d.R. vorher angekündigt). Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt. Wir schaffen es…….nicht! Wenige Kilometer vor unserer Unterkunft öffnet der Himmel seine Schleusen weit auf. Sehr weit!
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