früher war alles anders.
Heut früh, 2 Minuten vor acht, öffneten sich meine Augen und die Erkenntnis, an einem Sonntagmorgen vor 10 Uhr ausgeschlafen zu haben, ließ eine gewisse Besorgnis in mir wachsen. Senile Bettflucht? War es so weit? Jetzt schon? In meinem jugendlichen Alter?
Nach einer Katzenwäsche, geduscht hatte ich gestern Abend, einem Besuch beim örtlichen Bäcker und einem Marmeladenbrötchenfrühstück mit 2 Tassen Kaffee zwängte sich mein früher so schlanker Körper in die Sommerkombi. In Helm und Sommerhandschuhe schlüpften die zuständigen Körperteile anstandslos. Die Tracer sprang auf den ersten Knopfdruck an. Warum sollte sie auch nicht? Gestern tat sie es ja auch und vorgestern und überhaupt seit dem sie mein ist, springt sie immer an, wenn ich den richtigen Knopf drücke.
Vor dem Einlegen des ersten Gangs kam sie wieder. Die Alterssenilität. Hatte ich die Haustür abgeschlossen?
Lieber noch mal absteigen und nachsehen. Ach ja, Seitenständer raus.
Sie war abgeschlossen. Die Haustür. Wo ist der Schlüssel?
Ah ja, in der rechten Jackentasche, wie sonst auch.
Die Ausfahrt aus meiner Einfahrt klappte ohne Umfaller. Nicht wie vorgestern Morgen als ein Ebikeraser mich aus dem Konzept brachte und mit Sicherheit bei Saskia für einen ausdauernden Lachanfall gesorgt hätte, wäre sie Zuschauerin gewesen.
Los ging`s. Grobes Ziel war das Dorf, etwa 50 KM entfernt, in dem ich aufgewachsen bin und vor langer Zeit meine erste und bis heute auch letzte Wildsau erlegt hatte. Mit dem Mopped.
Über die A565 an Bonn vorbei bis Meckenheim war ich flott unterwegs. Dachte ich. Bis ein Blick auf den Tacho mir 106 KM/H anzeigte. 130 waren erlaubt.
Flott? Das war nicht flott. Kam mir aber so vor.
Nach der BAB-Ausfahrt, quer durch das Ahrtal bis zum Vinxtbachtal gab es Kurven. Reichlich Kurven. Vor kaum einer Kurve musste ich abbremsen. Gut, in den Kurven haben die Rasten manchmal am Asphalt gekratzt, aber bremsen vorher war nicht nötig. So langsam wurde ich nachdenklich, wenn ich es nicht vorher schon war. Wer weiß das?
Es war ein Genuss auf den Geraden zwischen den Kurven den Blick schweifen zu lassen und nicht den Gasgriff aufzudrehen.
Blühende Wildkirschen in leuchtendem Weiß, dazwischen satt gelber Löwenzahn, zartes Grün an den gerade ausschlagenden Bäumen. Dazu der Duft des Frühlings, der Rapsfelder und des wilden Flieders, der das Auge mal in einem leuchtenden Lila, mal in einem strahlenden Weiß entzückte. Mir kam es vor, wie ein erster Besuch in der Gegend, die früher mal meine Hausstrecke war.
Viel mehr gibt es nicht zu berichten. An der Stelle, an der die Sau damals starb, legte ich eine Schweigesekunde ein. Unerwähnt lassen möchte ich, dass ich lange vorher und lange danach auch geschwiegen habe. War ja keiner da und Selbstgespräche zählen nicht.
Nach weiteren Kurven über Kempenich, Cassel und Ramersdorf besuchte ich Micha, der eine Flutausstellung mit einem Imbiss bei Marienthal führt und genoss eine der geilsten Currywürste bei ihm. Eine Cola, 2 Zigarettenlängen und einem sehr persönlichem Gespräch später zog es mich noch kurz nach Ahrweiler, 2 weitere Freunde besuchen. Erwähnenswert ist, dass ich keine Hummeln im Hintern hatte, wie sonst, wenn ich unterwegs war. Jeder Aufenthalt wurde bis zur Neige ausgekostet, kein Gespräch abgewürgt mit dem Hinweis, ich hätte noch Termine. Ich hatte keine.
Keine Termine. Zeit! Ich hatte Zeit.
Zu Hause angekommen, die Heimfahrt ähnlich idyllisch wie die Hinfahrt, tauschte ich die Sommerkombi mit kurzen Hosen und Sandalen und nach einem Erfrischungsbier führte mein Radl mich zum weltbesten Griechen im Nachbardorf. Gesättigt sitze ich nun vor meinem PC und schreibe. Was wollte ich eigentlich schreiben?
Irgendwas über Gelassenheit und die Schönheit der Natur.
Aus den 50 Entfernungskilometern sind knapp 200 geworden. Keine Ahnung, wo ich überall war.
Danke für`s Lesen.